: Quer durch Zeit und Raum
Als Fotograf Ostdeutschlands ist Harald Hauswald bekannt; die Fotogalerie Friedrichshain zeigt ihn jetzt als Reisenden, wie er aufmerksam mit Bildern Kontakt aufnimmt
Von Thomas Winkler
Juli 1989. Noch ist die Mauer nicht gefallen, aber ein einzelner DDR-Bürger ist schon auf dem Weg in neue Welten. Ein Ostberliner Fotograf hat eine Genehmigung in der Tasche, um seine im Westen lebenden Eltern zu besuchen, tatsächlich aber besorgt er sich schnellstens einen bundesrepublikanischen Pass und ein Flugticket in die Türkei – und macht sich auf den Weg mit seiner Kamera. Nach zehn Tagen kehrt der 35-Jährige brav zurück in die DDR. In das Land, von dem bald nicht mehr viel bleiben wird als die Bilder von Harald Hauswald.
Knapp drei Jahrzehnte später bilden vier große Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die Hauswald damals auf den Straßen Istanbuls geschossen hat, das Zentrum der Ausstellung „Hauswald im Ausland 1979–2019“ in der Fotogalerie Friedrichshain: Süße Kätzchen spielen unter dem Stuhl eines alten Mannes; weit aufgerissene Kinderaugen; ein Lastenträger, geduckt unter einer großen Papierrolle; ein Mann trägt stolz einen absurden Schnurrbart.
Es sind kurze Eindrücke, schmerzhaft nah an einem oberflächlichen touristischen Blick, aber dann doch mehr. Denn auch diese Bilder haben diese für Hauswalds Fotografien typische Qualität, die seine Fotoreportagen von Hooligans und Fußballfans, von Passanten, Punks und anderen Außenseitern so berühmt gemacht haben: Sie verbinden eine dokumentarische Spontaneität mit der Ruhe, sich Zeit zu nehmen für den Menschen. Sie suchen – und finden oft genug – die Poesie des alltäglichen Augenblicks.
Das Konzept der Schau ist simpel: Hauswald, der vor allem als Chronist des DDR-Alltags, der Wende und der darauffolgenden Umbrüche gesehen wird, zeigt Bilder, die nicht zwischen Binz und Bautzen aufgenommen wurden, sondern bei seinen Reisen ins Ausland, vor dem Mauerfall vor allem in der Sowjetunion, nach 1989 vor allem auf Urlaubsreisen. Diese Ausstellung verändert den Blick auf ihn, glaubt Alexander Schippel von Photography Unlimited, dem Verein, der die Schau organisiert hat.
Schippel hat zusammen mit dem Fotografen das private Archiv des Mitbegründers der Agentur Ostkreuz durchforstet. Sie haben Filme aus Dutzenden Ländern gefunden, die meisten hatte der Fotograf selbst seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen. Aber sein Gedächtnis ist noch intakt: Die Prints der Ausstellung, auch das Teil des Konzepts, hat der 1954 in Radebeul geborene Hauswald allesamt eigenhändig signiert und mit Ort und Jahreszahl versehen.
Bewusst hat Schippel zu den freundlichen Bildern aus Istanbul einen starken Kontrast gesetzt. Auf der gegenüberliegenden Wand, aber trotzdem sehr nah, hängen zwei Farbaufnahmen aus Rumänien, die Hauswald 2004 in einem Lepradorf im Donaudelta fotografiert hat. Das verzerrte Gesicht eines Mannes vor einem Wandteppich, der das Abendmahl von Leonardo da Vinci nachahmt; eine Frau wechselt die Verbände ihrer Wunden, man sieht den Stumpf ihres Fußes. Die beiden Bilder sind unscharf, aufgenommen im Halbdunkel, die Gesichter kaum zu erkennen. Trotzdem spürt man auch hier, wie der Fotograf mit wachem Interesse durch die Welt geht, wie er Kontakt zu Fremden aufnimmt, sie ablichtet und trotzdem nicht zum Objekt degradiert.
So geht es fröhlich quer durch Zeit und Raum. New York 2004: Billboards am Times Square; eine jüdisch-orthodoxe Familie. Warschau 1995: Die von widerstreitenden Emotionen verformten Gesichter von Fans bei einem Rockkonzert. Litauen 2004: Ein Kind starrt nahezu ungläubig auf das Kleingeld, das sich in einem Kirmesautomaten sammelt. Madrid 2018: Hauswald fotografiert asiatische Touristen, die auf einem Markt einen exotischen Fisch fotografieren.
Menschengewimmel Ostsee
Es ist Hauswald, wie man ihn kennt: der Mensch in seinem alltäglichsten Alltag. Deswegen sind einige, wenige Bilder der Ausstellung besonders bemerkenswert. Eine Aufnahme von der polnischen Ostsee, wo das tausendfache Menschengewimmel das Meer nur noch erahnen lässt. Die von Langzeitbelichtung verwischten Spuren von Menschen auf einer Prager Brücke. Hier rückt der große Menschenfreund Hauswald sein liebstes Sujet an den Rand und wird vor allem zum Gestalter von Raum. Fast inszeniert wirkt eine Fotografie aus St. Petersburg: Zwei Männer in Badehosen dehnen sich an einer gewaltigen Festungswand, davor trägt eine Frau ihr Kind, am Bildrand ruht ein Junge an der Wand. Die Szenerie ist so surreal wie friedlich, Menschen als Dekor ihrer eigenen Baukunst.
In einer Fotografie, die Hauswald beim Urlaub in den USA gelungen ist, werden die Menschen endgültig zu Statisten. Zwei Spaziergänger und ihre Hunde begegnen sich auf einer hölzernen Uferpromenade. Die beiden Hunde reagieren aufeinander auf einer faszinierend geometrischen Komposition aus menschlichen Extremitäten, Hundeleinen und den Bohlen des Boardwalks. Coney Island 2004. Aber auch von dieser Reise ist Harald Hauswald wieder zurückgekehrt nach Berlin, Ostberlin.
„Hauswald im Ausland 1979–2019“, bis 28. Juni, Fotogalerie Friedrichshain, Helsingforser Platz 1, Di., Mi., Fr., Sa. 14–18 Uhr, Do. 10–20 Uhr
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