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Archiv-Artikel

„Viele Gegner sind eher national als religiös“

Sehr viele Israelis befürchten, dass die Räumung des Gaza-Streifens der Anfang von weiteren Räumungen ist, sagt Ephraim Yuchtman-Yaar

taz: Herr Yuchtman-Yaar, wie interpretieren Sie die Bilder von weinenden Siedlern. Ist das der Versuch, politisches Kapital herauszuschlagen?

Ephraim Yuchtman-Yaar: Man darf die Beziehung, die die Leute zu ihren Häusern haben, nicht so einfach abtun. Aber wenn dieser Abzug gewalttätig wird, dann signalisiert man damit schon, dass man bei kommenden Evakuierungen möglicherweise noch stärkeren Widerstand erwarten muss. Es ist eine politische Lektion mit Blick auf kommende Schritte.

Vorläufig sieht es so aus, als verliefe der Abzug weitgehend friedlich.

Das ist im Übrigen das, was sich die Mehrheit der Öffentlichkeit wünscht. Aber man kann nicht ausschließen, dass es doch noch zu Gewalt kommen wird.

Bei den Abzugsgegnern scheint es sich um eine homogene Gruppe zu handeln. Alles sind recht junge Anhänger des national-religiösen Lagers. Gibt es Unterschiede?

Die Jungen sind immer extremer und ideologisierter. Es gibt unterschiedliche Strömungen innerhalb der religiösen Führung. Da gibt es diejenigen, die militanter sind und eher der Thora und Gott verpflichtet, und andere, die zuallererst dem Staat verpflichtet sind. Sie nennen sich national-religiöses Lager. Bei den einen liegt die Betonung auf national bei den anderen auf religiös.

Je zur Hälfte?

Die meisten sind eher national als religiös. Die Radikaleren sind in der Minderheit, wobei sie gut organisiert und in der Regel sehr solidarisch sind. Ein Teil lebt in den Thora-Schulen.

Den Gegnern ist es in den vergangenen Wochen gelungen, fünfmal bis zu 100.000 Menschen zu mobilisieren. Wo ist die israelische Linke?

Ich habe früher einmal über die Linke geschrieben: „The left has left“ (die Linke ist gegangen). Die Linke ist überflüssig, ich würde fast sagen kastriert.

Was ist passiert?

Zum einen ist das, was die Rechts-Regierung heute vorantreibt, das, was die Linke erdacht hat. Im Moment ist es sinnvoller, wenn die Linke still ist, wäre sie zu aktiv, könnte sie der Sache jetzt nur schaden. Die Linke hat nach Beginn des Osloer Prozesses weitgehend ihre Legitimität verloren, weil die israelische Öffentlichkeit davon sehr schnell enttäuscht wurde.

Die israelischen Berichte drehen sich nur um die Vertreibung der 8.000 jüdischen Familien, ohne zu erinnern, dass vor 38 Jahren viel mehr Palästinenser von dort vertrieben wurden. Ist Israel zu sehr auf sich fixiert?

Ich glaube, das ist richtig. Dennoch sind Folgen und Schuld der Besatzung und der Siedlungspolitik eine Sache, die sehr wohl in den Medien vorkommt. Denn es ist klar, dass bei der Besatzung sowohl aus moralischer Sicht als auch aus pragmatischen Überlegungen große Fehler begangen wurden. Heute zahlt die israelische Gesellschaft den Preis dafür. Wobei auch die Palästinenser nicht ganz unschuldig an der Entwicklung waren, als die Arabische Liga nach dem Sechs-Tage-Krieg Verhandlungen, Anerkennung Israels und Frieden abgelehnt hat.

Warum ist auch unter denen der Streit um den Abzug so aufgeregt, obwohl sie nicht unmittelbar davon betroffen sind?

Es gibt hier zwei Ebenen. Die eine ist die elementare menschliche Ebene. Es gibt eine Menge Sympathie für die Siedler, selbst auf Seiten derer, die vehement gegen die Position der Siedler stehen. Es ist nicht angenehm, zusehen zu müssen, wie Familien, die 20 bis 30 Jahre lang ihre Kinder großgezogen haben, aus ihren Häusern vertrieben werden. Dazu kommt, dass ein großer Teil der Israelis damit rechnet, dass das, was heute im Gaza-Streifen passiert, morgen das Westjordanland erwartet. Niemand weiß, welche neue Bedrohung dem Abzug folgen wird.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL