: Reste des alten Systems
Kein Geld, keine Lust und wenige Zuschauer – das öffentlich-rechtliche Fernsehen der Ukraine leidet unter heftigen Geburtswehen
Das war ein Novum in der Ukraine: Vor über 20.000 Zuschauern stritten am 19. April die beiden letzten Präsidentschaftskandidaten in einem riesigen Stadion in Kiew. Tradition und ukrainische Gesetze hatten eigentlich eine Debatte der beiden Spitzenkandidaten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorgesehen. Tatsächlich strahlte das TV die Sendung aus, allerdings erst nach dem Duell im Stadion und nur mit Amtsinhaber Petro Poroschenko. Sein Herausforderer Wolodimir Selenski erschien nicht, wohl weil er sich nur eine geringe Öffentlichkeitswirkung von dem Auftritt versprach. Selenskis Entschluss zeigt, was für einen geringen Stellenwert das neue öffentlich-rechtliche Fernsehen beim Publikum besitzt. Staatliches Fernsehen sendet in der Ukraine seit den 1950er Jahren. Qualitativ konnte es sich mit dem zentralen sowjetischen Fernsehen nie messen.
2013 und 2014 stieg jedoch das Interesse des Publikums an Informationen aus erster Hand: Die Demonstrationen auf dem Maidan im Zentrum Kiews hielten die Menschen in Bann. Das Hromadske-Radio, ein von unabhängigen Journalisten gegründeter Internet-TV-Sender, berichtete von den Ereignissen. Das Bedürfnis nach einem Fernsehen, das nicht von Oligarchen dominiert wird, wuchs. Die Regierung folgte und formte den Staatssender in einen öffentlich-rechtlichen Sender um. Sie beauftragte den renommierten Journalisten Surab Alasania mit der Leitung. Er erbte einen riesigen Apparat von über 8.000 Mitarbeitern des staatlichen Fernsehens aus Sowjetzeiten. Doch Studios, Kameras und Mikrofone waren veraltet und die Mitarbeiter nicht sehr motiviert, neue Wege in Richtung eines guten, kritischen Journalismus zu gehen.
Ohnehin ist es schwer, von einem wirklich unabhängigen Fernsehen zu sprechen. An ein Gebührensystem wie in anderen Staaten ist in der Ukraine derzeit nicht zu denken. Immerhin hat das öffentlich-rechtliche Fernsehen das Programm moderner gemacht. Die Nachrichten wurden fairer, Journalisten nahmen die Machthaber aufs Korn. Doch die Einschaltquoten gingen weiter nach unten. Viele Zuschauer mochten sich nicht an den neuen Stil gewöhnen, es gelang nicht, neue zu gewinnen. Mit der Zeit akzeptierten auch die Regierenden die Kritik nicht mehr. Am 31. Januar 2019 wurde Surab Alasania entlassen.
Die Reform des ukrainischen Fernsehens zeigt, wie schwer es ist, das alte System zu beseitigen. Auch wenn es kaum überlebensfähig scheint, tut es alles, um zu überleben. Freie, von Regierung und Oligarchen unabhängige Medien sind in unserem Land immer noch Wunschdenken. Roman Huba
Übersetzung: Bernhard Clasen
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