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Brandgefährliche Kampagnen

Beleidigungen, Drohungen, Mord: Populisten machen immer häufiger Journalist*innen zu Sündenböcken für Missstände. Nur eine Branche kann sich freuen: die Leibwächter

Von Anne Renzenbrink

Lügner“, „ausländische Spione“, „dreckige antislowakische Huren“ und eine Kalaschnikow-Attrappe mit der Aufschrift „Für Journalisten“ – diese Entgleisungen sind nur einige Beispiele dafür, wie europäische Spitzenpolitiker Journalist*innen beleidigen und bedrohen.

Sie haben dazu beigetragen, dass sich die Lage Europas auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RoG) erneut verschlechtert hat. Die Folge der Hetze: Journalist*innen arbeiten immer mehr in einem Klima der Angst – vor allem in Ländern, in denen sie sich bisher sicher fühlen konnten.

Die Kampagnen populistischer Politiker*innen sind brandgefährlich. Denn wer Journalistinnen und Journalisten pauschal zu Sündenböcken für gesellschaftliche Missstände macht, bereitet den Boden für Übergriffe, Attentate und sogar Morde. Auch in Europa münden gezielte Verleumdungen gegen Medien in reale Gewalt.

In Serbien, wo Präsident Aleksandar Vučić kritische Journalistinnen und Journalisten beleidigt und regierungstreue Medien gezielte Schmierkampagnen

gegen Kolleginnen und Kollegen verbreiten, entkamen der Investigativjournalist Milan Jovanović und seine Frau im Dezember 2018 nur knapp einem Brandanschlag auf ihr Haus. Der Reporter recherchiert für die Nachrichtenseite Zig Info über Korruption in der lokalen Verwaltung.

In Tschechien griffen Sicherheitsleute von Präsident Miloš Zeman Journalisten an, als diese über seine Wiederwahl berichteten. Nachdem Zeman 2017 öffentlich dazu aufgerufen hatte, Reporterinnen und Reporter zu „liquidieren“, bot er im Herbst 2018 in Anspielung auf die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat von Istanbul an, einen Empfang in der Botschaft von Riad zu organisieren.

Seit Rechtspopulisten in Österreich an der Regierung beteiligt sind, häufen sich medienfeindliche Rhetorik und Drohungen gegen Berichterstatter*innen. Kritische Journalistinnen und Journalisten erhielten das Etikett „Linksextreme“, die das Land destabilisieren wollten.

Anne Renzenbrink, Pressereferentin von Reporter ohne Grenzen

Auch in den USA zeigte die Hetze Wirkung. Dort geißelt Präsident Donald Trump unliebsame Medien als „lügnerisch“ und beschimpft Journalistinnen und Journalisten als „Volksfeinde“. Nie zuvor erhielten Reporter*innen so viele Mord- und Bombendrohungen wie 2018. Immer mehr lassen sich deshalb von privaten Sicherheitsleuten beschützen, unter ihnen ein im Weißen Haus akkreditierter Korrespondent, der mit dem Tode bedroht war. Wie real die Gefahr ist, zeigte Ende Juni das Attentat auf die Capital Gazette in Annapolis bei Washington: Ein Bewaffneter drang in die Redaktion der Lokalzeitung ein und erschoss fünf Menschen.

In Brasilien war der Wahlkampf des neuen Präsidenten Jair Bolsonaro von Hassreden gegen Medien, Desinformation und Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten geprägt. Die Tageszeitung Folha de São Paulo, eine der größten Zeitungen des Landes, sei „größte Fake-News-Quelle Brasiliens“, sagte Bolsonaro in einem Video. Die Autorin eines Bolsonaro-kritischen Artikels und ihre Familie erhielten prompt anonyme Drohanrufe.

Jenseits des pazifischen Ozeans, in Indien, sind Hasskampagnen bis hin zu Mordaufrufen in sozialen Netzwerken alltäglich. Sogenannte Troll-Armeen, oft für ihre Beiträge bezahlte Helfer, aus dem Umfeld der hindu-nationalistischen Regierung heizen die Stimmung an. Seit ihren investigativen Recherchen über die Troll-Armee der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP) steht die Journalistin Swati Chaturvedi besonders im Visier.

Deutschland ist auf der aktuellen Rangliste zwar um zwei Plätze nach oben geklettert und liegt nun auf Rang 13. Das liegt aber daran, dass sich die Lage in anderen Ländern verschlechtert hat. Die Zahl der tätlichen Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten in Deutschland ist im Jahr 2018 sogar gestiegen: RoG zählte mindestens 22 Fälle, 2017 waren es 16. Zu Gewalt kam es vor allem am Rande rechtspopulistischer Kundgebungen.

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