: Der Pop des Maestro
Italien hat meinen Musikgeschmack ruiniert. Das fand jedenfalls damals meine Mitbewohnerin. Vom Erasmus-Jahr in Rom brachte ich zwar auch angesagten Electro-HipHop von 99 Posse, Indiepop von Subsonica sowie Punk von CCCP mit – aber vor allem hörte ich etwas, das sie als seichten, in den 70ern hängengebliebenen Schlagerpop identifizierte: Franco Battiato. Was sie nicht verstand: Der Mann, von seinen Fans ehrfürchtig „Il Maestro“ genannt, ist womöglich das letzte Universalgenie unserer Zeit.
Battiato schreibt Bücher, dreht Filme, malt Bilder (unter dem Pseudonym „Süphan Barzani“), Battiato inszeniert Theater, schreibt wirre Texte, singt – und verschwendet sich auch im Musikalischen in möglichst viele Richtungen: Wikipedia benötigt 13 Genre-Bezeichnungen, um seine musikalische Vielfalt einzufangen. Als er vor genau 45 Jahren seinen ersten Plattenvertrag unterzeichnet, ist er noch politisch bewegter Liedermacher und hebt sich mit wirrem Schopf und stets geschwollenen Özil-Augen von seinen Altersgenossen ab. Er probiert sich mit Beat, singt ein paar romantische Liebeslieder ein, widmet sich experimenteller Elektronik und Synth-Pop, um dann mit dem Album „Patriots“ (1980) schließlich zum Popstar zu werden.
Auf dem Cover guckt er grimmig, verschränkt die Arme, hat die Gitarre hinter sich hängen wie ein Gewehr und sitzt auf seiner eigenen Schulter. „Patriots“ ist der Auftakt zu Battiatos erfolgreichster Phase, er singt gurrend über Tauben („Cuccurruccuccu“), über den Newskij-Prospekt in St. Petersburg und über die Arche Noah. Battiato unterlegt seine Stimme mit so viel Hall, dass sie über den Orgeln zu verschwimmen droht, vernebelt die Gitarren und knickt in den Musikvideos hilflos unrhythmisch seine Knie. Battiatos Pop ironisiert das Lebensgefühl einer ganzen italienischen Generation, doch es müssen Jahre vergehen, bis sich die Erkenntnis durchsetzt, dass er uns auf einen Dada-Spaziergang mitnehmen will.
Unterdessen legt sich Battiato eine nerdige Brille zu, kämmt die einst schwarzen Haare in silberne Scheitel und zerlegt in schlimmen Cover-Versionen internationale Liebeslieder. Mit dem Mit Lied „Povera Patria“ („Armes Vaterland“) liefert er Anfang der 90er den Soundtrack zum Zusammenbruch des italienischen Parteiensystems und der folgenden Berlusconi-Zeit: „Armes Vaterland / Geschlagen vom Machtmissbrauch / von niederträchtigen Leuten, die keine Scham kennen“ – noch heute verdrückt die wachsende Schar frustrierter italienischer Expats in den Berliner Pizzerien eine kollektive Träne zum Refrain: „Non cambiera“ – „Das wird sich nicht ändern“. MALTE GÖBEL