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Heimat ohne Heimat

Hussein Jinahs biografischer Essay zeigt rassistische Kontinuitäten von der DDR bis heute

Von Jens Uthoff

Hussein Jinah ist einfach immer da geblieben. 34 Jahre lang. In Sachsen, in Dresden. Damals, 1985, mit Mitte zwanzig, kommt er als Student der Elektrotechnik in die DDR; und dass jemand wie er, ein Muslim, aufgewachsen in Tansania, Mutter mit indischem, Vater mit pakistanischem Background, dauerhaft bleibt: Das ist nicht vorgesehen.

„Ausländer […] waren in der DDR eigentlich immer nur auf Zeit geduldet“, schreibt Jinah rückblickend über die späten DDR-Jahre, „[sie] waren entweder nützlich oder sie hatten im Land nichts mehr zu suchen.“ Als Studenten und Vertragsarbeiter – Tausende kamen aus Vietnam oder Mosambik – habe man sie toleriert. Diskriminierung, etwa gegenüber den „Fidschis“, sei aber auch damals keine Seltenheit gewesen. Dass nach der Wende alles noch viel schlimmer kommen sollte, ist bekannt.

Hussein Jinah aber ist geblieben. Obwohl er 1991 von Nazis durch die Stadt gejagt wird, obwohl er die pogromartige Nachwendestimmung am eigenen Leib zu spüren bekommt. Weil er als Elektrotechniker keine Stelle bekommt, wird er in den frühen Neunzigern Sozialarbeiter. Er engagiert sich gegen Rassismus, arbeitet für die Stadt Dresden und für die Gewerkschaft Verdi. 2014 ist er einer der Ersten, die sich Pegida gegenüberstellen, er sucht das Gespräch mit ihnen. Heute ist er Vorsitzender des Dresdener Integrations- und Ausländerbeirats.

Seine Biografie und seine Migrationsgeschichte hat Jinah nun aufgeschrieben. „Als Weltbürger zu Hause in Sachsen“ heißt das Buch, das er zusammen mit dem Journalisten Sebastian Christ verfasst hat, es erschien kürzlich im Berliner Mikrotext-Verlag. „Der Kampf gegen den Hass fängt oft im Kleinen an“, schreibt er darin an einer Stelle. Das könnte sein Lebensmotto sein. Jinah will begreifen, will verändern. Will wissen, warum der Osten tickt, wie er tickt. Warum viele anfällig für rechte Denkmuster sind.

Auf der Straße, bei den fremdenfeindlichen Demos, schaut er genau hin: Er beobachtet, wie sich Pegida-Demonstranten äußern, auf Transparenten und im Gespräch. „Zustände wie im Westen“ wollten sie nicht, sagt ihm ein Demo-Teilnehmer auf der allerersten Kundgebung. „Eine Angstfantasie“, wie Jinah schreibt, denn die „ ‚westdeutschen Verhältnisse‘ existierten ja meist nur in den Köpfen derer, die sich davor gruseln wollten.“ Ein Schluss, den der Autor zieht: „Die Ostdeutschen […] haben selbst ein Problem mit ihrer Identität […]. Anscheinend fühlen sie sich nicht heimisch. Man kann Menschen aber nur dann integrieren, wenn man selbst integriert ist.“ Das liest sich so, als sei ein nicht unerheblicher Teil seiner Mitbürger nie im Westen angekommen.

Hussein Jinah aber ist geblieben. Obwohl er 1991 von Nazis durch die Stadt gejagt wird

Als eine der größten Zäsuren im Hinblick auf das politische Klima, gar als „Wendepunkt in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik“ macht Jinah die Veröffentlichung von Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“ 2010 aus, das sich in den folgenden zwei Jahren über 1,5 Millionen Mal verkauft (hier ist auch der einzige kleine Schnitzer im Buch: Daraus, dass Sarrazins Werk zwischen 2009 und 2013 das meist ausgeliehene Buch der Bibliothek des Deutschen Bundestags war, schließt er, dass auch die hoch gebildeten Menschen es läsen. Eine schiefe Argumentation. Aber das nur am Rande.)

Interessant an Jinahs Vorwendeerfahrungen ist die Karriere, die das Wort „Gastrecht“ in der DDR gemacht hat. Schließlich erinnert sich jeder an die Äußerung Sahra Wagenknechts zu Beginn des Jahres 2016: „Wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt.“ Jinah kennt dieses Wording sehr gut aus der DDR: „Wenn ein Ausländer mit deutschen Frauen flirtete, brach er in den Augen vieler einheimischer Männer das ‚Gastrecht‘ “, schreibt er. Er glaubt, eine Kontinuität im Osten zu erkennen: „Die Sache mit den ‚Gästen‘ und dem ‚Gastrecht‘: Sie sitzt offenbar noch tief in den Köpfen fest. So tief, dass sich viele nicht vorstellen können, dass ein deutscher Staatsbürger auch eine dunkle Hautfarbe haben kann.“ Auch in linksalternativen Gruppen, mit denen er verkehrte, sei es nach der Wende vorgekommen, dass Leute in seiner Anwesenheit Sätze wie „Das Boot ist voll“ sagten.

„Als Weltbürger zu Hause in Sachsen“ ist ein wichtiges Buch im Jahr nach Chemnitz und zu Beginn eines Jahres, in dem in Brandenburg, Sachsen und Thüringen Landtagswahlen sind (und die AfD in Umfragen in allen drei Bundesländern nur wenige Prozent hinter der jeweils stärksten Partei liegt). Jinahs Buch, das wie eine Biografie beginnt, wird zunehmend zu einem biografischen Essay. Der indische Autor will ergründen, warum heute dort, wo er sich zu Hause fühlt, wo er „viele liebe Menschen“ kennt, rechtes Gedankengut eine Normalität darstellt, und er gibt zum Teil überraschende Denkanstöße. Dass man nach dem Lesen dieses kurzen Readers noch sehr viele Fragen an ihn hätte, ist vielleicht ganz gut so. Denn er wird sich über jeden freuen, der sie ihm stellt.

Hussein Jinah: „Als Weltbürger zu Hause in Sachsen“. Mikrotext Verlag, Berlin 2019, 88 S., 12,99 Euro

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