: Fünf Avatare und eine Autokratin
Das Oldenburger Theater Wrede+ zeigt derzeit das „Live Theatre Escape Game“-Stück „People Power“. Das findet Spaß in der Unterdrückung und bietet dem Publikum statt Populismus-Kritik vor allem Klamauk
Von Jasmin Johannsen
Hoppla, wie konnte das denn passieren? Eine populistische Autokratin ist in Deutschland an der Macht, die Bürger*innen müssen entscheiden, ob es dabei bleibt. Soweit das Szenario des Theaterstücks „People Power“, das momentan im Programm des Oldenburger Theaters Wrede+ läuft. Mit dem „Live Theatre Escape Game“ wollten die Macher*innen an der Klävemannstraße ein „brandneues Format“ etablieren, hieß es vorab. Trotz einiger Innovationen vermochten die Ideen kaum zu zünden.
Zu undurchsichtig, zu konstruiert und irgendwie auch zu spaßig – „People Power“, das sich den „Trumps und Orbans“ dieser Welt widmet, hatte viele Mankos. Die Ungereimtheiten zogen sich von Anfang bis Ende durch das Stück, beginnend mit der Vergabe der Avatare an die Publikumsgruppen. Sollten die Zuschauer*innen nach den vorgestellten Charakterzügen der Figuren oder den eigenen Prinzipien handeln? Ein erstes Fragezeichen, auf das noch viele weitere aber keine Antworten folgen sollten.
Ob Rebell*in, Aktivist*in oder ängstliche Staatsanhänger*in – weil sie bei einem umstrittenen Theaterabend anwesend waren, wurden alle fünf Avatare und damit auch die Zuschauer*innen verhaftet. Fortan musste um die Freilassung gespielt werden.
Punkte für Staatstreue
Aufgaben wie das konzipieren von Fake News, die Überbringung einer Petition und Befragungen füllten den Sozial-Kredit-Punktestand – oder eben nicht. Wer staatstreu und gemäß der Version „Ehrliches Land“ handelte, sackte viele Punkte ein und kletterte im Bonitätssystem bis an die Spitze.
Trotz der ganzen Kontrollmechanismen schaffte es – oh Wunder – eine Aktivistin (Danielle Ana Füglistaller) aus dem Gefängnis, die das Publikum dann gegen die Autokratin und deren Helfershelfer*innen mit pathetischen Worten aufwiegelte.
Das Resultat: Die Werte der oppositionellen Kandidatin stiegen an. Ob das nun gut oder schlecht für die Spielenden war, blieb allerdings offen. Füglistaller, die zusammen mit Elisabeth Pleß (einer autoritätsgläubigen Staatsanwältin), die einzige – zumindest menschliche – Sprechrolle inne hatte, brachte ihre kämpferische Energie jedenfalls erst einmal in einem Dance Battle zum Ausdruck.
Darüber und über die absurd überzeichneten Charaktere der Aktivistin und Staatsanwältin an sich, konnten die Zuschauer*innen nur lachen. Die Game-Struktur verlieh dem durchaus beängstigendem Geschehen zudem eher eine heitere Videospiel-Atmosphäre. Diktatorische Unterdrückung als unterhaltsamer Wettkampf? „People Power“ macht’s möglich.
Autokratin gibt ab
Sehr realitätsnah ist dann auch der Ausgang des Spiels: Die oppositionelle Kandidatin gewinnt, die autokratische Herrscherin verzichtet ganz selbstverständlich auf die Macht. Schließlich hat das Volk trotz der Einschüchterungsversuche anders gewählt. Und das – dafür sind Autokrat*innen ja bekannt – wird natürlich respektiert. Die gefangenen Zuschauer*innen sind frei, die Demokratie gewinnt, die Welt ist wieder in Ordnung. Wenn doch nur alles so einfach wäre…
Nächste Vorstellungen: Fr/Sa, 26./27. April, 20.30 Uhr, Theater Wrede+, Oldenburg
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