: Die Bagger kommen
Bass vom Tage übrig blieb: Das Festival „The Only Good System is a Soundsystem“ ließ im Radialsystem die Hosenbeine erzittern
Von Andreas Hartmann
Zwei Bagger stehen sich am Samstag gegenüber. Das könnte eine bedrohliche Situation sein. Doch die Kettenfahrzeuge, die in den Veranstaltungsraum des Radialsystems in Mitte gefahren wurden, sehen zwar martialisch aus, ihre Waffensysteme verbreiteten aber nicht Angst und Schrecken, sondern laden zum Tanzen ein: Sie sind bestückt mit gewaltigen Lautsprechern. Und die beiden fahrbaren Bass-Bagger treten zum spielerischen Soundclash an. Die als reptilienartige Aliens verkleideten Selectors – so nennt man DJs in der jamaikanischen Soundsystem-Kultur – bedienen die Klangungetüme und beschallen den Dancefloor mit Dubreggae und Bassmusik. Dazu treten diverse ToasterInnen und Tänzer in Erscheinung.
Die performative Klanginstallation des Berliner Künstlers Nik Nowak, der die Soundbagger entwickelt hat, ist einer der Programmpunkte beim Festival „The Only Good System is a Soundsystem“, das von Karfreitag bis Ostersonntag im Radialsystem statt fand. Geschichte und soziale Bedeutung der Soundsystemkultur, die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ihren Ursprung in Jamaika hat, wurde mit Vorträgen, Konzert-Performances und einer rauschenden Abschlussparty im benachbarten Club Yaam gefeiert.
In Nowaks Sound-Baggern steckt alles drin, womit man sich diskursiv den unterschiedlichen Aspekten zum Thema Soundsystems annähern wollte. Als die ersten Soundsystems in Jamaika auftauchten – mobile Wagen mit Verstärkern und möglichst mächtigen Bassboxen – ging es bereits darum, den Akt des Tanzens als eine Art Kampfhandlung zu betreiben. Man forderte konkurrierende Soundsystems heraus: Um zu gewinnen, musste man möglichst lauter sein als die Konkurrenz, hatte die bessere Musik und am Ende auch mehr Tänzer dabei. Sieg durch mehr Bass.
Klang als Waffe
Klang als Waffe, dieses Prinzip haben inzwischen freilich auch das Militär und die Polizei für sich entdeckt. Auch sonische Waffen haben das Ziel, Desorientierung von Menschen auszulösen, Panik, körperliche Schmerzen zu erzeugen. Bei den Bassfrequenzen von Nowaks Maschinen, die nur so aussehen wie Schallwaffen, flatterten einem glücklicherweise nur ein wenig die Hosenbeine.
Dass der Krieg der Klänge zumindest in der Stadt inzwischen Alltag geworden ist, zumal in Berlin, dafür lieferten Nowaks Geräte freilich einen weiteren Beweis. Eigentlich wollte man seine Soundbagger im Garten des Radialsystems auffahren lassen. Doch dagegen intervenierte das Ordnungsamt. Zu viel Bass im offenen Raum hätte ja die Nachbarn stören können.
Wenn es um Soundsystems geht, muss es natürlich auch um Reggae gehen. Und um Dancehall, die digitalisierte Form dieser Musik, die sich in Jamaika in den Achtzigern entwickelte. Diedrich Diederichsen, der damals in Köln Dancehall auflegte, referierte in seinem Vortrag aber über die siebziger Jahre und Burning Spear, einen einflussreichen Dub-Reggae- und Rastafari-Künstler aus Jamaika. Ebenso sprach zur Eröffnung am Freitag der Londoner Kulturwissenschaftler Julian Henriques, der mit „Sonic Bodies“ ein Standardwerk über die Soundsystem-Kultur geschrieben hat, in seinem Vortrag ging es vor allem um Jamaika und dessen Musikkultur. Er sprach darüber, dass Soundsystems auf der Karibikinsel schon immer Ausdruck einer Straßenkultur waren, die von der Mittelschicht verachtet wurde. Darüber, wie sich Soundsystems gegen die Herrschenden richten.
Der Roots-Reggae von Burning Spear, über den Diederichsen referierte, und der besonders in Europa immer noch so beliebt ist, werde auf jamaikanischen Sound-clashs heute freilich kaum noch gespielt, berichtete er. Da hört man lieber aktuelle Musik. „Um ein echtes Soundsystem zu hören, gehst Du nicht nach Jamaika“, sagte er, „sondern nach London zu Jah Shaka.“ Der Reggae-Produzent Jah Shaka lädt in London regelmäßig zu seinen nach klassischer Manier funktionierenden Soundsystem-Nächten, bei denen jamaikanisches Ital-Food gereicht wird und der Meister Platten auflegt.
Dass man die Musik von Soundsystems am besten aus nächster Nähe fühlt, wurde klar, als Kevin Martin, der in Berlin lebende Londoner und bekennender Fan von Jah Shaka, der sein eigenes Soundsystem im Berliner Club Gretchen untergebracht hat, am Samstag eine Party-Nacht mit Dancehall und Dub im Radialsystem ausrichtete. Sein Rapper Flowdan zermalmte den Raum. Und im Club Yaam wartete zu später Stunde noch das Berliner Lion's Den Sound System auf die Tänzerinnen. Zwei gigantische Lautsprecher-Wände wurden hinter den Tanzenden aufgebaut. Man spürte deren Bässe am ganzen Körper. Eine sonische Waffe, durchaus. Doch deren Auswirkungen taten nicht weh, sondern fühlten sich einfach nur gut an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen