piwik no script img

Verkrampfter Kampf

Dortmunds Versuche, oben zu bleiben, sehen aus wie Abstiegsduelle. Beim 2:1 gegen Mainz hat’s immerhin geklappt

Aus DortmundDaniel Theweleit

Kaum jemanden im Stadion hielt es auf der Sitzschale während dieser finalen Minuten. Die erinnerten an ein großes Abstiegskampfdrama, geprägt von Panik, von Lähmung, von Hilflosigkeit. Nach jedem Zweikampf schlugen die Menschen die Hände vor ihre Gesichter, wendeten sich ab, forderten mit zunehmender Verzweiflung den Abpfiff. Der aber kam erst, als Roman Bürki mit einer spektakulären dreifachen Rettungstat gegen Anthony Ujah endgültig zum Helden des Tages geworden war.

Nur zwei Worte fielen Kapitän Marco Reus ein, als er später nach Gründen für die spektakuläre Mutlosigkeit gefragt wurde, von der der einstmals so stolze Tabellenführer in der Schlussphase erfüllt gewesen war: „Keine Ahnung.“

Am Ende feierten sie zwar einen sehr glücklichen 2:1-Erfolg, aber in der Schlussphase hatten sie gewirkt wie ein Team aus der Abstiegszone, das jedes Konzept aufgegeben hat, dessen letzte Hoffnung im Wohlwollen des Fußballgottes liegt. „Wir wussten, dass wir ein Zeichen setzen müssen – für uns und unsere Fans, doch mit der zweiten Halbzeit kann man gar nicht mehr zufrieden sein“, lautete Reus’ Fazit.

Borussia Dortmund zeigt derzeit Symptome des Borderline-Syndroms, zu dessen Merkmalen laut Lexikon „teilweise paradox wirkende Verhaltensweisen“ gehören. Auf das 0:5 von München aus der Woche zuvor hatten sie nämlich mit einer prachtvollen ersten Hälfte reagiert. „Das war fußballerisch gut, da war zu sehen, dass wir München aus den Köpfen haben“, sagte Sportdirektor Michael Zorc. Bevor dann in der Schlussphase zu sehen war, dass eben doch erhebliche Zweifel an einer erfolgreichen Traumabewältigung angebracht sind. Die blanke Angst davor, nun endgültig alle Meisterschaftschancen zu vergeuden, wurde immer dominierender, und als Robin Quaison zehn Minuten vor dem Ende zum 1:2 getroffen hatte, verlor der Blitztabellenführer jede Kontrolle. Vor dem Dortmunder Tor herrschte pures Chaos. „Mit letzter Woche hat das gar nichts zu tun“, behauptete Reus dennoch, und wahrscheinlich ist diese Verdrängungsstrategie sogar sinnvoll.

„Wir haben sehrhart gearbeitet, daran sind wirnicht gewöhnt“

Axel Witsel, BVB

Auch Axel Witsel plädierte dafür, „nicht mehr darüber nachzudenken, wie wir in den letzten 30, 35 Minuten gespielt haben, denn es sind nur noch fünf Spiele zu absolvieren“. In der jetzigen Saisonphase komme es alleine auf die Ergebnisse an. Eine Theorie zu den möglichen Gründen präsentierte der Belgier dann aber doch, und die klang ziemlich verwegen. „Wir haben sehr hart unter der Woche gearbeitet, daran sind wir sind nicht gewöhnt“, erläuterte er. „Wenn man drei Spiele pro Woche hat, kann man nicht wie verrückt trainieren, jetzt machen wir das. Wir waren ein bisschen müde nach 65 Minuten.“ Hat Lucien Favre das Team nach dem 0:5 im Training überfordert? Leider formulierte Witsel seine Gedanken nach der Pressekonferenz, sodass niemand mehr beim Trainer nachfragen konnte, aber Zorc wies zumindest darauf hin, dass beide Teams 126,5 Kilometer gelaufen waren, was ein sehr guter Wert ist.

Die Lähmung, die das Team ergriffen hatte, wirkte tatsächlich eher wie ein Kopfproblem. Und dazu passte auch, dass gerade Roman Bürki am Ende zum Helden wurde. In den drei Jahren vor dieser Saison war es ja oftmals der Torhüter, der psychisch labil wirkte, der unerklärliche Fehler produzierte, der seine Mannschaft verunsicherte. In der laufenden Saison hat Bürki mehrfach erzählt, dass ein Mentaltrainer großen Anteil an seinem Stabilisierungsprozess habe.

Sein Klub braucht das. Denn an Aufregung ist diese Dortmunder Saison kaum zu überbieten. Der BVB ist ein Team, das sich selbst immer rätselhafter zu werden scheint. „Natürlich spielt der Kopf auch eine Rolle, je näher es zum Ende geht“, sagte Reus noch, und den haben sie derzeit irgendwie nicht im Griff.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen