Durch Mutters Organe kriechen

Das Arsenal zeigte das therapeutische Biopic „Narcissister Organ Player“ über die Künstlerin Narcissister

Von Jenni Zylka

Eine Maske lässt das Gesicht erstarren. Auch wenn es sich um die Halbmaske eines „Mannequins“ handelt, einer normativ schönen Frau mit geschminkten, großen Augen und glattem Teint. Die Multimedia-Künstlerin Narcissister, deren autobiografischen, Ende 2018 entstandenen Performance-Film „Narcissister Organ Player“ das Arsenal am Mittwochabend in einem Spezialscreening zeigte, hat die Maske zu ihrem Signature-Look erhoben: Sie zeigt sich nicht nur ausschließlich mit Maske (und Accessoires), sondern trägt zuweilen mehrere davon übereinander.

Zu Beginn des von ihr inszenierten Film-Kunst-Hybrids sieht man eine Wiege mit einer Babypuppe. Als die Wiege umkippt, wird aus ihr ein kleines (Plastik-)Mädchen, das von der schwarz verhüllten Künstlerin geführt wird. Binnen Sekunden wächst aus dem verhüllten Wesen eine maskierte Frau in Weiß, kurze Zeit später hält sie einen Brautblumenstrauß, bindet eine Haushaltsschürze um, ein Luftballon lässt ihren Bauch wachsen, er platzt, und eine Babypuppe fällt heraus – Stationen eines weiblichen Lebens als absurde Metamorphose.

Den weiblichen Körper stellt Narcissister auch in ihren anderen Projekten radikal ins Zentrum: Oft nur mit Strapsen, Schuhen, Halbmaske und Perücke bekleidet, zieht sie weitere Masken, Fotos oder Kleidungsstücke aus ihrer Vagina oder ihrem Anus, sexualisiert und entsexualisiert damit den Kontext. In den USA wurde sie vor ein paar Jahren durch die Teilnahme an einer Talentshow einem größeren, umgehend schockierten Publikum bekannt – auch dort performte sie mit Maske, stellte sich beim Radschlagen auf den Kopf und entblößte eine weitere Maske zwischen den Beinen. Und bei einem öffentlicher Auftritt als Begleitung von Marilyn Manson, bei dem sie Maske zu einem Kleid mit offenem Schritt (und abgeklebter Scham) trug, kriegten sich die prüden US-Medien kaum ein.

Doch „Narcissister Organ Player“ zeigt nicht nur die Performances der in Brooklyn lebenden Künstlerin, sondern fungiert mit Original-Videoaufnahmen, Fotocollagen und Narcissisters eigener Erzählstimme als therapeutisches Biopic: Das Verhältnis zu ihren Eltern, vor allem ihrer aus Marokko stammenden Mutter, erarbeitet die Künstlerin konsequent als Art-Piece. So sieht man die Kindheit der gleichzeitig anonymen und persönlich erzählenden Isabell, Narcissisters echter Name, als harmonisch und von der starken Liebe ihrer Eltern getragen, andererseits geprägt durch Narcissisters Selbstzweifeln aufgrund ihres Aussehens – der afroamerikanische Vater vererbt ihr Locken und einen etwas dunkleren Hautton.

Die symbiotische Beziehung zur Mutter wurde durch deren schwerer Krankheit überschattet, am Ende ist es jedoch der Vater, der zuerst stirbt. Der Film portraitiert eine freundliche Halb-Boheme- und Halb-Vorort-Familie, unterbrochen wird er immer wieder von Narcissisters Performance-Happenings, bei denen sie in Strapsen und Schuhen an den Zöpfen eines überdimensionalen Modells ihrer Mutter emporkriecht, oder in die Vagina dieses Modells hineinkrabbelt, um danach in einer Stoptrick-Animation durch deren Organe zu kriechen – „Organ Player“ eben.

Nach dem Screening steht eine kleine, lockige Frau mit Halbmaske vorn, und erzählt offen von Zweifeln, von einem umfassenden Kunstverständnis und dem Mischen des eigenen Lebens mit artifiziellen Statements. Ob sie damit nicht auch Nahestehende ausbeute, will jemand wissen. Narcissister berichtet, dass ihr Vater den Preis, den sie einst bei einem Erotikfilmfestival für einen „Best Use of a Sex Toy“-Beitrag gewann, und der aus einem wackelnden Dildo besteht, stolz neben seine Sport-Trophäen stellte. Narcissister lacht: „Das sagt mir, dass er akzeptierte, was ich mache.“