: Wie einer zum Deutschen wird
Als Künstler kam er vor 20 Jahren in ein ihm noch ganz fremdes Land. In seinem Dokumentarfilm „Im Land meiner Kinder“ zeigt der Ecuadorianer Dario Aguirre, wie schwierig es ist, in Hamburg eingebürgert zu werden
Von Wilfried Hippen
Die Nuancen der Mülltrennung werden für Dario Aguirre wohl für immer ein Mysterium bleiben. Wenn er in dem Wissenstest, den jene bestehen müssen, die in Hamburg eingebürgert werden wollen, danach gefragt worden wäre – und nicht danach, wer den Text der Nationalhymne gedichtet hat oder worauf man achten muss, wenn man in Deutschland einem Kind einen Hund schenken will – ja, dann wäre er heute vielleicht immer noch ein Ausländer und müsste bei der Ausländerbehörde alle paar Jahre wieder ein Visum beantragen.
Gleich mehrere Male in seinem Film „Im Land meiner Kinder“ zeigt Aguirre, wie ordentlich hier der Müll entsorgt wird. In solchen Momenten blickt er mit einem ethnologischen Auge auf das Land, in dem er seit 20 Jahren lebt.
Sein Film ist ein Selbstversuch. Das Projekt begann mit einem Brief, den Olaf Scholz, der damalige Hamburger Bürgermeister, an 137.000 Emigrant*innen in der Stadt versandte. Darin lud er sie dazu ein, Hamburger*innen und damit Deutsche zu werden. „Wenn Sie gefragt werden, wo Sie zu Hause sind, dann sagen Sie wahrscheinlich ganz selbstverständlich – Hamburg“, stand in diesem Brief.
Aber für Aguirre war das alles andere als selbstverständlich. Er lebte und fühlte zum Teil auch weiter als Ecuadorianer. Es war eine Lücke zwischen dem, was der Politiker von ihm erwartete und seiner Realität – und die machte ihn so neugierig, dass er zu diesem Thema einen Film machen wollte.
In einer der ersten Einstellungen des Films sieht man nun Olaf Scholz mit ebendiesem Brief in der Hand. Bald darauf gibt es Aufnahmen in einer Amtstube, bei denen eine Beamtin Dario Aguirre genau erklärt, was er tun muss, um die Bedingungen für die Einbürgerung zu erfüllen.
Für diese Aufnahmen muss es Genehmigungen gegeben haben, bei denen es alles andere als selbstverständlich gewesen sein dürfte, ob sie erteilt würden. Auch hier gibt es also eine Lücke. Oder besser: eine Unschärfe. Denn Aguirre ist nicht einer von vielen Antragsstellern, sondern der eine, der gleichzeitig einen Film über diese Prozedur macht.
Solche Ambivalenzen sind es, die diesen Film so schillern lassen. Es geht in erster Linie gar nicht um diese Einbürgerung. Und die Seltsamkeiten der deutschen Bürokratie handelt Aguirre deshalb in ein paar Sequenzen ab, in denen er und seine deutsche Ehefrau Stephanie sich etwa am Küchentisch anhand der vielen Formulare, die ausgefüllt werden müssen, an den Köpfen kratzen und darüber wundern, warum da nach dem Datum und Ort der Hochzeit von Stephanies Eltern gefragt wird.
Viel wichtiger ist es für Aguirre, zu zeigen, wie seine Integration in den 20 Jahren, in denen er in Deutschland lebt, vor sich ging und wie sie ihn veränderte. 1999 war er nach Deutschland gekommen, um dort mit Stephanie zu leben, die er als Austauschschülerin in Ecuador kennengelernt hatte. Als junger Mann, nein schlimmer: als junger Künstler kam er in das ihm völlig fremde Land und wurde dort von Stephanies Eltern aufgenommen.
Für beide Seiten war das nicht einfach. Aguirre bedient sich verschiedener filmischer Stilmittel, um die gegenseitige Fremdheit darzustellen. So verfremdet er „Rückblenden“ in diese Zeit, indem er sie als Animationen nachinszeniert. Bei seinen ersten Begegnungen mit Deutschen sprechen diese in unverständlichen verzehrten Blubberlauten, genau wie er damals das gesprochene Deutsch wie unter Wasser gehörte Laute wahrnahm.
Aguirre besucht mit der Kamera seine Schwiegereltern (er muss sie ja fragen, wann und wo sie geheiratet haben). Offensichtlich zum ersten Mal wird dabei ein offenes Gespräch darüber geführt, wie schwierig ihr Verhältnis zueinander in dieser ersten Zeit war.
Aguirre reist auch nach Ecuador, um seinen Vater zu besuchen und mit ihm darüber zu reden, wie es für ihn war, als sein Sohn sich plötzlich entschied, seine Familie und sein Land zu verlassen. Sowohl den Schwiegereltern als auch seinem Vater zeigt er den Einladungsbrief von Olaf Scholz. Deren gegensätzliche Reaktionen darauf sagen viel über die Unterschiede zwischen den Kulturen und Persönlichkeiten aus.
Anlässlich eines Staatsbesuch des ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa in Deutschland zeigt Aguirre, wie Patriotismus inszeniert wird: Ecuadorianer aus Hamburg werden da mit einem Bus nach Berlin zu einem Treffen mit ihrem Präsidenten gefahren. Aber sie dürfen nur mit, wenn sie ein speziell für diesen Anlass bedrucktes T-Shirt tragen.
Auch der feierliche Akt, bei dem Aguirre schließlich von Olaf Scholz die Urkunde überreicht bekommt, die ihn zum Deutschen macht, ist natürlich eine Inszenierung. Als solche macht Aguirre sie mit seinen im Vergleich zum Rest des Films konventionellen, fast steifen Kameraaufnahmen kenntlich.
Wieder ist da die Schere zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten. Und dem nähert sich Aguirre mit anderen, poetischen und spielerischen Bildern. So etwa, wenn es um das Schuhe ausziehen geht: Aguirre lernt, dass in ordentlichen deutschen Haushalten der Gast die Straßenschuhe auszieht, denn es gibt Hausschuhe für alle. Auch Aguirres Freundin Mariuxi, die wie er aus Ecuador kommt und in Deutschland lebt, bringt ihn dazu, seine Schuhe auszuziehen. Aber sie will, dass er, wie sie, im Wald auf dem Laub und Moos barfuß läuft.
Im Film wird, ohne dass dies so geplant worden wäre, etwa zur Hälfte Deutsch und zur Hälfte Spanisch gesprochen. Und auch dies spiegelt Aguirres Situation. „Im Land meiner Kinder“ ist ein sanfter, nachdenklicher Film über eine Integration, die gerade deswegen gelungen ist, weil der Protagonist darauf beharrt, nicht dadurch definiert zu werden, was für einen Pass er besitzt.
Do, 4. 4. und So, 6.4.,15 Uhr, Mo, 8.4., Abaton-Kino, Hamburg
Film und Gespräch mit Dario Aguirre: Mo, 8. 4., 20.30 Uhr, Kino in der Pumpe, Kiel; Do, 25. 4., 20.30 Uhr, City 46, Bremen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen