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Sich der Lust am Geräusch hingeben

Zwei Experimentalmusiker aus Detroit: Nate Young und John R. Spykes (alias John „Inzane“ Olson) waren während ihres Konzerts im Roten Salon vollends im Versuchs- und Probiermodus versunken

Von Jens Uthoff

Gegen Ende des Sets steht Nate Young für ein paar Minuten über seinen analogen Synthesizer gebeugt, die Hände an beiden Seiten seines Instruments, als sei es ein Flipperautomat und er versuche gerade, noch ein Freispiel rauszuholen. Er drückt links, drückt rechts, ruckelt an der Gerätschaft, dann an den bunten Kabeln herum, mit dem gewünschten Ergebnis: ratatatam, tiktiktik, piongpiong.

Ein paar Meter weiter macht sich sein Musikerkollege John R. Spykes derweil an seinen selbst gebauten Instrumenten zu schaffen: Amalgame aus Rohren nutzt er als Blasinstrumente, am Schallbecher sind Tonabnehmer angebracht, manchmal setzt er zusätzlich Effektgeräte ein. Wie ein Pfeifen und Fiepen mit fiesen V-Effekten klingt das dann.

Nate Young und John R. ­Spykes (alias John „Inzane“ Olson) sind während ihres Konzerts im Roten Salon am Dienstagabend vollends im Versuchs- und Probiermodus versunken. Die beiden Experimentalmusiker aus Detroit schaffen mit ihren In­stru­menten eine beeindruckend breite Klangpalette. Mal hören sich ihre Sounds albtraummäßig wie beim Zahnarzt an – bohren, schleifen, absaugen –, dann knistert, zirpt und zischt es, ehe auch mal so etwas wie ein repetitiver Stolperbeat ertönt, der für etwas Entspannung sorgt, fast schon tanzbar ist.

Die beiden Musiker auf der Bühne sind in der Experimental- und Noiseszene keine Unbekannten: Gemeinsam spielen sie seit mehr als zwanzig Jahren in der Inferno-Combo Wolf Eyes, einer der prägenden US-Avantgarde-Bands jüngerer Zeit. Während sie bei Wolf Eyes Improv und Noise mit Rock- und Metaleinflüssen verbinden, haben beide auch noch Soloprojekte, die nicht minder spannend sind, aber meist auf den Rockkontext verzichten. Gerade erst hat Young zwei sehr klar fokussierte Synthesizeralben veröffentlicht, die weit von dem Wolf-Eyes-Soundchaos entfernt sind und eher Impulse aus der Library Music (für Filme produzierte Musik für die Konserve) und Musique concrète aufgreifen (Nate Young, „Dilemmas Of Identity“, Nightshade“).

In der von der umtriebigen Berliner Veranstalterin Ma­nue­la Benetton kuratierten Concert Series im Roten Salon bekommt man Young und Olson also nun gemeinsam außerhalb des Wolf-Eyes-Kosmos zu sehen und zu hören. Sie klingen dabei frickliger und nicht so sehr auf Überwältigung aus – wobei sie lautstärke- und tempotechnisch nach vergleichsweise gemäßigtem Beginn im Laufe des Abends doch noch etwas anziehen. Nach einem moderaten Teil sagt Young: „Okay, we step it up a little!“

Die Soundscapes, die das Duo kreiert, lassen einen gedanklich in so manch andere Welt reisen; kein Wunder, dass ein Teil des Publikums – schätzungsweise 80 Leute sind gekommen – auf dem Boden sitzt und die Augen schließt (Assoziationen, die der Autor dieser Zeilen unter anderem hatte: Nürburgring, Kreissäge, Herz-Lungen-Maschine, Propeller, Streichholzzündung). Zu den schwer zu fassenden Geräuschen singt/spricht Nate Young auch gelegentlich etwas ins Mikrofon, das aber nicht immer zu verstehen ist. Apathisch klingende Monologe, die wie bei ihm immer latent angepisst daherkommen.

Assoziationen: Nürburgring, Kreissäge, Herz-Lungen-Maschine

Warum die Klangspielereien der beiden Experimentalmusiker so gut funktionieren und bei den Hörer_innen so gut ankommen, konnte man an kleinen Momenten während des Konzertabends ausmachen. Einmal, als ein deeper Beat ertönt, sieht man, wie Nate Young, der eigentlich die ganze Zeit in sein Schaffen vertieft unter seiner Detroit-Baseballcap hervorlugt, ein fast verlegenes Lächeln über das Gesicht huscht. Eines, das von Überraschung zeugt. Und davon, dass sich die zwei Klangkünstler noch gern überraschen lassen, von sich selbst überraschen lassen. Und gierig nach neuen Klängen sind.

Sich der Lust am Geräusch hinzugeben, darum geht es in der gesamten Concert Series, die seit Januar läuft und noch bis Ende Juni fortgesetzt werden soll. In diesem Monat werden etwa noch die tolle New Yorker Saxofonistin Lea Bertucci (9. April), die schrägen Yeah You mit Dadatronica-Freestyle (16. April) und der italienische Avantgardeheld Lino Capra Vaccina (24. April) zu erleben sein.

Wenn man das Konzert von Nate Young und John R. Spykes zum Maßstab nimmt, so ist dieses „zu erleben sein“ im Übrigen nicht bloß eine Floskel. Denn diese Konzerte sind ein echtes Erlebnis.

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