: Der große Gitarrenhexer
Caspar Brötzmann Massaker zelebrieren exzessives Noiserock-Voodoo, vor dem sich vielleicht sogar Jimi Hendrix verneigt hätte. Höchste Zeit, dass die Platten neu aufgelegt sind und die Band wieder live spielt
Von Andreas Hartmann
Radikale, dekonstruktive und avantgardistische Musik aus Berlin – da denkt man an die Einstürzenden Neubauten oder die Tödliche Doris. Vergessen wird meist das Caspar Brötzmann Massaker. 1987 tauchte es auf mit seiner ersten Platte „Tribe“. Bis Mitte der Neunziger erschienen vier weitere Alben voller qualvollem, dunklem und eruptivem Noiserock. Dann verglühte das Trio einfach, und sein Vermächtnis geriet zunehmend in Vergessenheit.
Zumindest in Deutschland. In den USA bekam Caspar Brötzmann weit mehr Aufmerksamkeit als hierzulande. Page Hamilton von der Post-Hardcore-Band Helmet pries ihn als einzigartigen Gitarrenhexer. Die beiden spielten dann sogar zusammen eine Platte ein. Und nun ist es auch das amerikanische Label Southern Lord, das die Wiederauferstehung des Caspar Brötzmann vorantreibt. Nach und nach werden die fünf Platten seines Trios Massaker dort erneut veröffentlicht. Am Ende werden sie noch einmal in einer Box erhältlich sein, also in einer Form, in der man nur echte Klassiker würdigt. Und bei der nächsten Tour von Sunn O))), der Band von Southern-Lord-Betreiber Greg Anderson, wird das Caspar Brötzmann Massaker endlich wieder bei zwei Shows in Berlin am 30. und 31. Juli als Vorband auf die Bühne steigen.
Brötzmann wieder zu hören bedeutet vor allem, von einem Gitarrensound durchgerüttelt zu werden, der an Expressivität seinesgleichen sucht. Man vernimmt eine elektrische Gitarre, die aufheult wie die Motoren eines Düsenjets, und wahre Flageolettton-Exzesse. Gitarren-Voodoo, vor dem sich vielleicht sogar Jimi Hendrix verneigt hätte. Übertroffen hat dieses Gewürge auf dem Instrument in dieser Konsequenz bis heute niemand.
Krawall aus dem Koksofen
Bei Brötzmanns Rezeption lässt sich das Schaffen des Vaters nicht ausblenden: Peter Brötzmann ist seit den späten Sechzigern eine der prägenden Figuren des europäischen Free Jazz. Eine Überfigur, an der sich der Sohn erst abarbeiten musste. Im Hause Brötzmann in Wuppertal hörte man Jazz. Der heute 57-jährige Caspar interessierte sich jedoch mehr für Rock. Er brachte sich das Spiel auf der Gitarre selbst bei und stieg als Teenager bei der Wuppertaler Oi-Punkband Die Alliierten ein. Er hörte Deep Purple und Led Zeppelin. Vater und Sohn hatten sich nicht mehr viel zu sagen, und Caspar haute ab nach Berlin-Kreuzberg.
Später näherten sich die beiden wieder an, auch musikalisch. Sie spielten sogar zusammen eine Platte ein. Saxofon-Geplärre trifft auf E-Gitarren-Krawall. Auch keine leichte Kost. Und als Caspar mit dem Massaker loslegte, hatte Peter gerade Last Exit gegründet, eher eine Rock- denn eine Jazzband. Dass der Vater wieder mit dem Sohne konnte, zeigt auch die Tatsache, dass mehrere Cover der Massaker-Alben von ihm gestaltet wurden.
Strukturell ist der Massaker-Sound klar definiert. Es agiert ein Powerrock-Trio in quasiklassischer Manier. Gitarre, Schlagzeug, Bass. Dazu Brötzmanns Gesang. Zuerst auf Englisch, später zunehmend in Deutsch. Doch über die fünf Platten hinweg verändert sich die Musik der Formation gehörig. „Tribe“ zeugt noch von der Suche nach einem bestimmten Sound, „Black Axis“ ist dann schon pures Massaker. Schließlich werden die Stücke immer länger, die Mischung aus Chaos und Struktur raumgreifender. Auf „Der Abend der schwarzen Folklore“ entdeckt Brötzmann den Sänger in sich, die bedeutungsschwanger dräuenden Texte klingen heute vielleicht ein wenig gestrig. „Koksofen“ ist dann das Werk, das ihn auch international bekannt macht. Und ihm sogar Verehrung in Metal-Kreisen einbringt, wo man von jeher ein großes Herz für Gitarrengötter hat. „Home“ hält dann das Level, fügt dem bisherigen Schaffen aber nichts Neues mehr hinzu.
Dann war Schluss. Brötzmann veröffentlichte noch ein schlappes Solo-Album, spielte eine Platte mit der Schriftstellerin Sibylle Berg ein, verlor die Orientierung und landete für eine Weile sogar in der Band von Thomas D von den Fantastischen 4. Auch deswegen kommt das Comeback des Massakers jetzt so überraschend.
Caspar Brötzmann Massaker – Wiederveröffentlichung aller Platten bei Southern Lord.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen