piwik no script img

Stichwort: Entschleunigung

Mit alter Schreibmaschine, Schere und Kleber legte Evelyn los, für das Design der Musik interessiert sich das Magazin „Gosh“: zwei Geschichten über die Lust an neuen Printprodukten

Von Andreas Hartmann

Spex, Intro, Groove, die einst prägenden Popkulturmagazine sind alle weg oder abgewandert in das Internet. Nicht so schlimm, dann machen wir eben unsere eigene Zeitschrift. Das haben sich Jördis Hagemeier und Sophie Overwien gedacht, die jetzt die erste Ausgabe ihres neuen Magazins Gosh herausgebracht haben. Das versteht sich weniger als monothematisches Organ für Musik, sondern sucht einen speziellen, ganz eigenen Ansatz. Es verschreibt sich ausdrücklich dem Zusammenspiel der Disziplinen Pop und Design. „Grafik, Mode, die Konzeption von Live-Shows“, alles betrachtet als Teil der Popkultur, darum soll es laut Jördis Hagemeier gehen.

Und auch darum, mal „hinter die Kulissen zu schauen, die Strippenzieher zu betrachten“. So jemanden wie die Hamburger Illustratorin Danika Arndt zum Beispiel. Die ist zuständig für die Corporate Identity der Hamburger Band Schnipo Schranke. Für das Design ihrer Platten, des Merchandise und der Live-Präsentation. Sie gestaltet also das Image einer Band mit, was kein unwesentlicher Aspekt im Bereich der Popkultur ist. In Gosh erklärt die Designerin, wie genau sie das macht.

Toter als Musikmagazine sind nur noch Fanzines. Könnte man meinen. Doch in der Nische gibt es sie noch, die Fanzine-Kultur. Nicht bloß im Netz, sondern in Form selbst gemachter Printmagazine, die bei den Machern und vor allem immer mehr Macherinnen auf deren Homepages bestellt werden können. Oder über spezielle Distros, kleine, eher unkommerziell orientierte Vertriebskanäle.

Vinyldyke ist so ein Fanzine, das anders und doch in gewisser Hinsicht ähnlich funktioniert wie Gosh, das sich eher im klassischen Zeitschriften-Segment verortet. Herausgegeben wird Vinyldyke von Evelyn aus Berlin. Die 34-Jährige aus Neukölln ist Grundschullehrerin und will ihren Job getrennt halten von ihren Aktivitäten als Kopf von Vinyldyke. Deswegen will sie in der Zeitung nur mit Vornamen genannt werden.

Evelyn ist Feministin, Lesbe und Musikfan. Man trifft sich in Paule’s Metaleck in Friedrichshain. Was einigermaßen passt. Guns n’ Roses bezeichnet sie als eine der prägendsten Bands in ihrem Leben. Bis vor Kurzem hat sie noch selbst in einer Band gespielt, bei Make Music Not Love, die sie als „feministische Grunge-Band“ bezeichnet. Die Band hat auch eine Platte veröffentlicht, auf Vinyldyke, das erst Evelyns Label war, bevor sie unter dem Namen ihr Fanzine veröffentlichte. Die Platte freilich „war kein großer Erfolg“, so Evelyn, die damit vor allem Geld verloren hat, aber sagt: „Ich bereue es nicht, hat Spaß gemacht.“

Eine Geschichte, die typisch sein soll für das, was Gosh im Sinne hat, ist diejenige über die Schriftart Cooper Black. Die hat sich der Schriftdesigner Oswald Bruce Cooper in den Zwanzigern ausgedacht. Dank ihrer Verwendung auf ikonischen Plattencovern in den Sechzigern wurde sie legendär. „Pet Sounds“ von den Beach Boys, „L. A. Woman“ von den Doors: Überall prangen die opulenten, leicht schnörkeligen Cooper-Black-Schriftzeichen. Eine Schrift erobert die Popkultur und bald auch die Werbung, etwa von Burger King in den Siebzigern. Und fast hundert Jahre nach ihrer Erfindung lebt sie immer noch. Wer es retro will, verwendet Cooper Black. Etwa der Bassist Thundercat vor zwei Jahren auf seinem Album „Drunk“, einer Reminiszenz an den Funk der Siebziger.

Spielerisch, mit vielen Illustrationen versehen, so wird die popkulturelle Entwicklung einer Schriftart in Gosh präsentiert. Das schaut man sich gerne an und die Zeitschriftenmacherinnen haben ihr Ziel erreicht: Man denkt sich, gut, dass es Print gibt.

„Gosh“ und „Vinyldyke“

Gosh erscheint in einer Auflage von 1.500 Stück zweimal im Jahr. Zu beziehen über gosh-magazine.com. Preis: 6 Euro. Die zweite Ausgabe von Vinyldyke wird erscheinen, wenn Herausgeberin Evelyn Lust darauf hat. Zu beziehen über: vinyldyke.wordpress.com. Preis: 2 Euro. (aha)

Gedruckt wird auch Vinyldyke. Optisch ist es freilich nicht mit Gosh zu vergleichen. Statt in echtem Magazin-Schick kommt es Schwarz-Weiß daher und in einem Punk-Retro-Look. Über den Kontakt mit Nina von der Fanzine-Plattform Echo, die im belgischen Gent sitzt, kam Evelyn auf die Idee, sich nun in anderer Form mit Feminismus und Rock auseinanderzusetzen als mit der Band: mit dem eigenen Magazin. Sie hat sich eine gebrauchte Schreibmaschine für 20 Euro zugelegt, Schere, Kleber und sogar ein Handprägegerät und losgelegt. „Ungefähr zehn Wochen Arbeit stecken in der ersten Ausgabe von Vinyldyke.

Dieses gehört, streng genommen, zu einer Untergattung der Fanzines und ist ein sogenanntes Egozine. Bei dieser Kategorie macht nur eine einzige Person alles selbst, schreibt die Texte, designt das Heft, bestimmt den Inhalt, kümmert sich um den Vertrieb.

Sie sei stark in feministische und queere Strukturen eingebunden, sagt sie, „was mir dort aber oft fehlt, ist die Musik“. In Vinyldyke bringt sie Feminismus, ihr Leben als Lesbe und ihre Liebe vor allem zu Grunge und den Riot-Grrrl-Bands einfach auf einen Nenner.

Ihre Geschichten sind extrem persönlich. Da erzählt jemand von sich und seinem Leben. Man erfährt viel von ihrer Band und deren Ende und sieht das Tattoo, das sich Evelyn selbst gestochen hat: das Bandlogo der Rockband L7. Das Heft wendet sich ganz bewusst an Gleichgesinnte, teilweise funktioniert es wie ein Tutorium. Wie schreibe ich gute Songs? Wie stelle ich meine Stereoanlage richtig auf? Auch dazu hat Evelyn etwas zu sagen.

Es geht ihr um Kommunikation. Als Teil der Szene mit der Szene. Jedoch mit einer Methode aus dem Prä-Internet-Zeitalter. Stichwort: Entschleunigung. Dass es „keine Jagd nach Likes“ gebe, genau das gefällt Evelyn, sagt sie. In manchen ihrer Texte wendet sie sich direkt an ihre LeserInnen, fragt sie um ihre Meinung. Das könnte sie im Internet einfacher haben. Wäre aber wieder zu nahe dran an der Like-Kultur des Netzes.

Toter als Musikmagazine sind nur noch Fanzines. Könnte man meinen

50 Exemplare von Vinyldyke habe sie erst einmal drucken lassen, so Evelyn. „Die waren sofort weg.“ Inzwischen ist sie ihr Magazin fast 200-mal losgeworden. 2 Euro kostet eine Ausgabe. Fast nichts also. Dazu gibt es sogar noch ein Bonus-Heft, in dem Evelyn erzählt, was ihr alles Aufregendes passiert ist, als sie einer ihrer Lieblingsbands, den Breeders, auf deren letzten Tour in England hinterhergereist ist. Unheimlich spannend und, Achtung: nicht im Netz zu finden.

Auch die Texte in Gosh erscheinen exklusiv auf Papier. Per Crowdfunding-Kampagne haben Jördis Hagemeier und Sophie Overwien die erste Ausgabe finanziert. Fast 8.000 Euro sind dafür zusammengekommen. Hagemeier, die in Berlin als freie Redakteurin beim Musikexpress arbeitet, sagt, sie sei durch ihren Job gut vernetzt und habe deswegen nicht etwa nur die eigene Tante oder den besten Freund zum Spenden bewegen können, sondern auch Leute aus der Musikbranche, die das Projekt interessant fanden.

Die 29-Jährige ist für die Texte zuständig, Sophie Overwien, ihre beste Freundin, die in Düsseldorf als freie Art-Direktorin arbeitet, für Grafik und Design. Dank Internet sei die räumliche Trennung kein Problem, so Hagemeier. Ob es wirklich einen Markt gibt für ein Magazin, das sich für die Verschränkung von Pop und Design interessiert, muss sich erst noch weisen. 6 Euro kostet die Zeitschrift, 1.500 Stück wurden gedruckt, „auf sehr hochwertigem Papier“, so Hagemeier. Zwei Mal im Jahr soll sie erscheinen. Mehr sei nicht drin, rein zeitlich, da mit ihr erst einmal kein Geld zu verdienen ist. Aber, klar: „Irgendwann davon leben zu können, ist durchaus ein Ziel.“

Diesen Wunsch hat Evelyn von Vinyldyke natürlich nicht. Sie ist schon froh, wenn sie mit ihrer Zeitschrift nicht zu viel Miese macht. Noch aber sei es aber auch „kompletter Wahnsinn, so ein Projekt wie Gosh zu zweit zu stemmen“, so Jördis Hagemeier. Da kann man nur hoffen, dass der Wahnsinn weitergeht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen