: Nicht totzukriegende alte Evergreens
BRECHT-WEILL Am Dresdner Staatsschauspiel inszeniert Friederike Heller eine „Dreigroschenoper“ als große Glamourshow
VON ESTHER SLEVOGT
Zum Bettlerkönig Peachum kommt ein Aspirant namens Filch und möchte Mitarbeiter werden. Peachums Geschäftsidee besteht bekanntlich darin, dem Mitleid der Leute auf die Sprünge zu helfen. Zu diesem Zweck greift Peachum zu den Mitteln des Theaters: Die Leute werden nach allen Regeln der Illusionskunst ausstaffiert.
Hier gewinnbringend mitmischen zu dürfen, das erhofft sich nun auch Filch, der in Gestalt des Schauspielers Thomas Braungardt auf einer Showbühne unter drei enormen Glühbirnenrahmen vor Peachum und einem Orchester steht. Hübsche Holzschilder hängen aus dem Bühnenhimmel, auf denen mit verschnörkelter Jugendstilschrift die Mitleidsparolen des Unternehmens prangen.
Die berühmten Parolen von Bertolt Brechts und Kurt Weills „Dreigroschenoper“, die am Dresdener Staatsschauspiel nun Friederike Heller inszeniert hat, werden von einem Sprayer live auf Kulissenteile gesprüht, der dafür gelegentlich schwindelnde Höhen erklimmt. Ruf zum Aufstand im Reich der Zeichen? Noch muss Filch bei Peachum die Aufnahmeprüfung bestehen. Er würgt seine Bewerbung hervor. Schließlich erhält er einen Elendskittel, für den er seine eigene Kleidung abgeben muss. Die nämlich wandert als Ausstattung „junger Mann, der bessere Tage gesehen hat“, in Peachums Kostümdepot. Aber den könnte er doch selber spielen, muckt Filch noch mal mit unglücklichem Blick auf das frisch erhaltene Gewand auf. Nein, belehrt ihn Peachum, das eigene Elend glaubt einem kein Mensch.
Womit man schon mitten in der Logik der Inszenierung wäre, die nämlich die Frage stellt, wie man so ein abgenudeltes und zum Bürgervergnügen verkommenes Roaring-Twenties-Spektakel noch glaubhaft auf die Bühne bringen kann. Das berühmte Stück und seine noch berühmteren Songs hat Heller als große Glamourshow inszeniert, mit Travestie-Seejungfrauen, die sich als Huren aus dem Bühnenhimmel herabsenken, exquisit gesungenen Songs und geschmeidig servierten Szenen, die nie etwas anderes als großes Theater sein wollen und sind: die „Dreigroschenoper“ als Stück über eine Welt, in der alle nur noch Theater spielen – bei der Liebe, beim Betrügen, Geschäfte- und Karrieremachen. In der folgerichtig auch das Theaterspielen selbst nur große Lüge sein kann.
Hier gibt es nur ein Verbrechen, nämlich schlechtes Theater und miese Performanz. Das Personal wird aufgemischt mit Figuren aus der Muppetshow. Die Elendsarmee hat Zombiemasken. Am Ende, kurz vor der drohenden Hinrichtung, steht Mackie Messer in Michael Jacksons Billie-Jean-Pose da. Christian Friedel spielt ihn als weichen Charmeur mit Hang zu beiden Geschlechtern. Sonja Beißwenger steht als edles Showgirl an seiner Seite. Antje Trautmann ist eine wunderbar schnodderig-ordinäre Frau Peachum. Thomas Eisen hat als Bettlerkönig den Appeal eines alten Westernstars. So brutal, wie Benjamin Höppner den korrupten Polizeipräsidenten abliefert, hat man ihn lange nicht gesehen. Dann ist da noch Sebastian Wendelin, als Spelunkenjenny ein magischer Mittelpunkt des Abends, zu dessen Signatur der „Salomon-Song“ als trauriges Lied von den gefallenen Stars wird.
Auch die anderen Songs über Gier und die Verkommenheit des Menschen haben in Hellers Rahmung zeitgemäße Dringlichkeit. Und sind dabei doch die alten, nicht totzukriegenden Evergreens.