: Chef wird, wer am lautesten rumschreit
Die Junge Union hat einen neuen Vorsitzenden. Das extra anberaumte Deutschlandtreffen in Berlin war geprägt von Lärm und starken Sprüchen zweier erzkonservativer Kandidaten
Aus Berlin Anja Maier
Die Junge Union ist der politische Seismograph von CDU und CSU. Gut 100.000 Mitglieder hat die Jugendorganisation, 320 sind am Samstag in die Ostberliner Kongresshalle gekommen, um einen neuen Vorsitzenden zu wählen. Der letzte hieß Paul Ziemiak. Weil der aber seit dem CDU-Bundesparteitag Anfang Dezember Generalsekretär von Annegret Kramp-Karrenbauer ist, findet nun ein außer der Reihe anberaumter Deutschlandtag statt. Um Ziemiaks Posten bewerben sich zwei JU-Landesvorsitzende: der Niedersachse Tilman Kuban und der Thüringer Stefan Gruhner.
Im Saal herrscht Ringkampfstimmung, man sieht überwiegend Männer, überwiegend Button-down-Hemden und jede Menge Gel im Haar. Angekündigt haben sich die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und CSU-Chef Markus Söder – der dann aber doch nur eine Videobotschaft und seinen Generalsekretär Markus Blume schickt.
Annegret Kramp-Karrenbauers Rede dauert eine Stunde. War vor Jahresfrist noch die Parteivorsitzende Angela Merkel von einer sehr kämpferischen JU-Mitgliedschaft erwartet worden, wird 2019 in Berlin unruhig geschwätzt, während „AKK“ spricht. Die neue Chefin umgarnt den Parteinachwuchs. „Ich wünsche mir als CDU-Vorsitzende eine Junge Union, die uns Dampf macht“, sagt Kramp-Karrenbauer. „Ihr habe heute das Privileg, dass ihr zwischen zwei hervorragenden Kandidaten auswählen könnt. Aber man ist nach der Wahl immer verantwortlich für die gesamte Organisation“, sagt die Frau, die beim Parteitag nur knapp gegen ihren Mitbewerber Friedrich Merz gewonnen hatte. Sie freue sich auf „produktive Streitereien“ mit der Jungen Union. Und natürlich auf deren Hilfe in den anstehenden Wahlkämpfen.
Für Ziemiaks Nachfolge stehen zwei Kandidaten bereit. Der Thüringer Stefan Gruhner und der Niedersachse Tilman Kuban haben beide gute Chancen. Gruhner, der mit 34 Jahren als Übergangslösung gilt und der zudem in diesem ereignisreichen Landtagswahljahr den Osten repräsentiert, wurden im Vorhinein bessere Chancen attestiert. Doch es kam anders. Am Ende gewann Tilman Kuban und bekam 62,7 Prozent der Stimmen.
Kuban, der unüberhörbar die Landesverbände Niedersachsen und Bayern auf seiner Seite hatte, hielt eine lautstarke Bewerbungsrede, die vor Klischees nur so strotzte. Vom „3. bis zum 312. Geschlecht“ über das ermüdende Diktum von der grünen Verbotspartei bis zum „Nicht willkommen“-Satz auf Kosten von Geflüchteten war alles dabei. Der Saal tobte. „Kevin, mach dein Studium fertig, dann kannst du dir eine eigene Wohnung leisten“, feuerte Kuban gegen Juso-Chef Kühnert. Der, nicht faul, holzte via Twitter zurück: „Ich hörte man kann auch ohne zur Not noch CDU-Generalsekretär werden.“ Tatsächlich hat Paul Ziemiak aus privaten Gründen kein abgeschlossenes Studium. Der Schlussapplaus für den Kandidaten fiel stürmisch aus.
Stefan Gruhners Rede hingegen war immerhin akustisch gut verständlich. Wie schon sein Mitbewerber ätzte er gegen die SPD und forderte das Ende von deren „Respektrente“. Seine Rolle als Landtagsabgeordneter in Thüringen beschrieb er als Kampf gegen links und rechts. „Wir brauchen eine Kampfansage“, rief er den Delegierten zu, die das mit starkem Applaus honorierten. Zur AfD sagte Gruhner: „Das bürgerlich-konservative Lager, das sind wir. Gauland und Höcke sind schäbige Populisten, und das müssen wir den Menschen sagen.“ Zur Erneuerung der Union forderte er, dass erst die Partei das Wort haben müsse und dann die Regierung. „Wir sind nicht der Abnickverein der Großen Koalition.“ In der Flüchtlingspolitik forderte er, dass die „Union bei Abschiebungen jetzt konsequent liefert“.
Als schließlich der Tagungsleiter das Ergebnis verkündete, stand der Saal kopf. Der Sieger hatte Freudentränen in den Augen und rief die Delegierten zur Geschlossenheit auf, „weil der politische Gegner da draußen steht und nicht hier drinnen sitzt“. Der Fußballer und Jurist Kuban hat bei der Europawahl einen guten Listenplatzes und darf damit rechnen, Ende Mai ins Europäische Parlament gewählt zu werden. Der unterlegene Gruhner wird seinen Thüringer Parteifreunden erklären müssen, warum nicht einmal in einem so wichtigen Landtagswahljahr ein Ostdeutscher auf den einflussreichen Posten des JU-Vorsitzenden gewählt wurde. Dass von 23 Posten im Bundesvorstand lediglich fünf an Frauen gingen, gilt hingegen schon als normal für die Junge Union.
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