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Mach mal ein bisschen Lärm, Berlin!

Bei dem US-Rapper Lil Xan klang leider alles gleich am Dienstagabend im Festsaal Kreuzberg

Von Jan Jekal

Die Tribüne haben sie gar nicht erst aufgemacht. Die wenigen Leute, die da sind, sollen sich gefälligst im Innenraum konzentrieren, damit ein wenig der Eindruck entsteht, hier wäre viel los. Als Hype Man hat man es wirklich nicht leicht an diesem Dienstagabend im Festsaal Kreuzberg. Der Anheizer des jungen Rappers Lil Xan muss wahrlich schuften, bei jeder kleinen Pause wirbelt er mit den Armen und initiiert einen Chorgesang, der aus dem Publikum sonst nicht käme. Erstaunlich, dass nur wenige Hundert Menschen hier sind. Nach zwei wichtigen Indikatoren für Popularität, die es für junge Popkünstler wie Lil Xan gibt – Anzahl der Plays auf Spotify und Anzahl der Abonnenten auf Instagram – hätte man denken können, der 22-jährige Kalifornier wäre ein richtiger Star. Virtuelle Prominenz lässt sich offenbar nicht unbedingt in Ticketverkäufe umwandeln.

„Xan-ar-chy! Xan-ar-chy!“, ruft der Hype Man, wenn es zwischen zwei Songs mal wieder leise wird und ihm nichts anderes einfällt; ein Neologismus, der sich auf den Titel des Debütalbums bezieht und zudem als eine Art mythologischer Überbau fungieren soll: Xanarchy beschreibt die Fanbase als Schicksalsgemeinschaft, als eingeschworene Gemeinde, den Widrigkeiten einer kalten Welt trotzend. „I fucking love you all, man“, sagt Lil Xan dann auch ungefähr zweihundertmal an diesem Abend (also ungefähr einmal für jede anwesende Person). „Make some fucking noise, Berlin!“, hört man auch häufiger von der Bühne, das kommt vom DJ, der hinten auf Play drückt, was komplizierter sein muss, als es aussieht, schließlich kommt es ständig zu diesen kurzen, das Energielevel sinken lassenden Pausen zwischen den Songs. Es ist, als würden drei Pokémon auf der Bühne stehen, die alle nur den eigenen Namen sagen können. Das eine heißt „Xan-ar-chy!“, das zweite heißt „I fucking love you all, man!“, das dritte heißt „Make some fucking noise, Berlin!“.

Man sollte ja nicht sagen, dass jedes Lied gleich klingt, weil solch plumpe Urteile meist auf die Ignoranz und die mangelhafte Aufmerksamkeit des Rezipienten verweisen und nicht auf die Qualität der Musik. Aber was soll man machen, bei Lil Xan klingt alles gleich. Der eine einfallslos-brachiale Beat, die eine Drum Machine, die eine dissonante Synth-Figur, die eine an Einfachheit nicht zu überbietende und enervierend gebrüllte Hook. Die Jungs auf der Bühne scheinen nicht besonders musikalisch zu sein.

Als es in der Mitte des Konzerts zu einer kurzen Totenandacht kommt und Songs der letztes Jahr gestorbenen Cloud-Rapper Lil Peep und XXXTentacion gespielt werden, ist schlagartig wieder Energie im Raum. Lil Xan bekommt an keiner Stelle größeren Applaus als hier, da er die Lieder von anderen spielt. „Wir sind noch nicht tot“, sagt Lil Xan danach. Eine wirkliche Reaktion gibt es nicht, man hat ihn nicht ganz verstanden. „Xan-ar-chy!“, macht der Hype Man.

Das Publikum besteht aus Teenagern, die Eltern sitzen im Loungebereich an der Seite und sind vielleicht ein bisschen schockiert, was ihre Kinder da gut finden. Lamenti, nach denen es heute keinen selbstzerstörerischen Rock-’n’-Roll-Ethos mehr gibt, widerlegen die Cloud-Rapper. Sie haben die Transgression zurück in die Popkultur gebracht; mit ihren Gesichts­tattoos, der beiläufigen Lebensmüdigkeit, dem demonstrativen (und über soziale Medien ästhetisierten) Drogenkonsum. Da kommt ja auch der Name Lil Xan her: eine Abkürzung für Xanax, Angstlöser und Szenedroge. Lil Xan inszeniert sich mittlerweile als Antidrogenaktivist: „Xans gon’ take you“, rappt er. Bei dem Song werfen ein paar Witzbolde Tabletten auf die Bühne. Lil Xan lächelt und zeigt mit dem Daumen nach oben.

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