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Zwischen den Dingen

In der Schwankhalle untersucht das Theaterkollektiv Mobile Albania unser Leben zwischen den Dingen. Das Projekt hat schon vor der Premiere längst begonnen

Von Teresa Wolny

Wenn die Leute merken, dass es sich um Kunst handelt, entspannt sich die misstrauische Atmosphäre. Da stehen drei Leute in verdächtig großen DHL-Jacken an der Haustür und fragen nach Kartons. Warum? Um das Paketgeschäft ganz einfach mal umzudrehen: Nehmen statt geben. Die meisten machen mit und können auch tatsächlich mit alten Kartons dienen. Nur die beiden Mitarbeiter im Waschmaschinenladen glauben, dass die rot-gelben Jacken irgendwas mit Karneval zu tun haben.

„Eigentlich vermeidet die Gruppe Mobile Albania solche Aktionen im öffentlichen Raum darum um diese Jahreszeit“, sagt Julia Blawert. Sie ist Teil des Künstler- und Theaterkollektivs, das derzeit in der Bremer Schwankhalle residiert. Die Karton-Ausbeute an diesem Nachmittag in der Neustadt ist eher dürftig, deswegen geht es mit dem alten Bus weiter Richtung Industriepark. Dort retten sie kurz vor Ladenschluss noch letzte Kartons aus der Presse.

Wie sich Mobile Albania mit all der Pappe und vielen anderen Dingen beschäftigt haben, ist kommende Woche in der Schwankhalle zu sehen, im Rahmen des Schwerpunkts „Über Dinge“. Es geht um alltägliche Gegenstände, die uns umgeben, die belasten, beruhigen oder einfach nur da sind. Warum hat eine Bluse mehr Seele als ein Pappkarton? Ab wann wird etwas zu Müll?

Dabei wird nicht an einem Konzept festgehalten, nur weil es irgendwann einmal so festgelegt wurde. Lag der Fokus früher eher auf Kleidung, steht jetzt ihre Verpackung im Zen­trum: die „Kleidung der Ware“ also. „Altlastenretoure mit Inspirationspotential“ heißt es auf der Website, und genau das hat die Gruppe in den letzten Wochen getan. Gegenstände, Kleidung, Verpackungsmaterial von Neustädter*innen gesammelt, zu denen die Besitzer*innen den Bezug verloren haben. Aus den Gegenständen haben die Performer*innen neue Sinnzusammenhänge entwickelt.

Aus alten Rohren wird ein analoger Audioguide, aus alten Büchern und Kartons ein analoges E-Book. Nicht nur anstrengend fand Künstlerin Katharina Stephan diesen Prozess, sondern regelrecht schmerzhaft. Weil diese Dinge nicht aufhören, eine große „Inspirationsfreiheit zu verbreiten, die Leere erzeugt und Energie raubt“, nur weil sie sich auf einmal in anderen Händen befinden. Die Vorbesitzer*innen seien häufig sogar sehr glücklich gewesen, dass das Theaterkollektiv sie aus diesem Zwischenreich von Dingen, die eine Schattenexistenz im eigenen Haushalt führen, befreit haben.

Im Tausch für die abgegeben Dinge gibt es einen Paketschein und damit eine Eintrittskarte für die Aufführung in der Schwankhalle. Neben der Wahl der Themen, zu denen Menschen oft auch unabhängig jeglicher Kunstaffinität eine Meinung haben, schafft es Mobile Albania, Menschen aus der Stadt ins Theater zu bringen. Menschen, die von sich aus diese Schwelle vielleicht sonst nie überschritten hätten. Direkter kann Kunst nicht abholen.

Diese Kunst bringt die Menschen von zu Hause ins Theater. Direkter geht nicht.

Die Gruppe, die ihre Basis in Frankfurt und Gießen hat, ist nicht zum ersten Mal in Bremen. In den früheren Arbeiten „Der Apparat“ oder dem „Paplament“ wurde unter anderem spontan in fremden Küchen gekocht oder sich auf Schiedsrichterhochstühlen über das aktuelle Stadtgeschehen in Bremen ausgetauscht. Damals ging es um Digitalisierung der Kommunikation oder das Recht auf Stadt.

Mobile Albania changieren immer zwischen Theater und dem Draußen. Die Stücke sind auf den Ort ihres Geschehens abgestimmt. Etwas, das in Bremen funktioniert, funktioniert anderswo nicht oder zumindest anders. Gespräche und Situationen am Gartenzaun oder an der Haustür sind keine Vorbereitung, sondern als performative Praxis bereits Teil des Ganzen.

Diese Situationen sind nicht wiederholbar und die Aufführung darum auch kein Wiederspiegeln vergangener Ereignisse. Stattdessen werden Räume eröffnet, in denen durch die Anwesenden ein wieder ganz neues Ereignis stattfindet. Starre Rahmen gibt es dabei weniger. „Wir sind bereit, viel aufzugeben, wenn wir etwas finden, was einen anderen Sinn ergibt“, so die Künstler*innen. Ihre Kunst ist potenziell überall, im jeweiligen Moment intensiv und gerade deswegen dann auch wieder sehr flüchtig. Passend, dass ihr Logo eine Fliege ist.

Fr, 22. 3., und Sa., 23. 3., 19 Uhr, Schwankhalle

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