: Die Grenzen des Singbaren
Gelungene Affronts gegen den konservativen politischen Backlash der Achtziger, auch wenn die Ironie nichtbei allen ankam: Die Ärzte veröffentlichen drei CDs mit „Schrott“, der es nicht auf reguläre Alben schaffte
Von Jens Uthoff
Die Bezeichnung „Fun-Punk“ war schon immer ein schlechter Witz. Oder, noch schlimmer, im Deutschen: „Spaßpunk“. Als Mitbegründer dieses Genres gelten Die Ärzte, womit man die Qualitäten des Trios unterschätzt, verniedlicht, verkennt. Die Berliner Band mit ihren beiden ständigen Mitgliedern Bela B. und Farin Urlaub stand insbesondere in ihrer Anfangsphase für einen abgründigen Witz, einen zutiefst undeutschen Humor, den man in der Unterhaltung und auch im Punk in Deutschland bis dahin vergebens suchte.
Es gibt nun gute Gelegenheit, die Genese dieser Band nachzuverfolgen. „They’ve given me Schrott – Die Outtakes“ heißt ein Anfang Februar erschienener Sampler, auf dem Demoversionen, Songskizzen und Ausschussware versammelt sind. Darauf finden sich 60 Songs aus nahezu allen Schaffensphasen, die zu schrottig für eine „richtige“ Plattenveröffentlichung waren. Die Tracks waren bislang nur auf der Gesamtwerk-Box „Seitenhirsch“ zu hören, die aus 33 CDs besteht und 300 Euro kostet.
Man kann die Karriere der Ärzte in zwei Phasen aufteilen – von der Gründung 1982 bis zur ersten Auflösung 1988 und von der Reunion 1993 bis heute. Auf dem Sampler sind die Stücke aus der Frühphase die spannenderen, einige reichen in die Zeit vor der Entstehung der Band zurück. So wird die Kompilation eröffnet von einer Kassettenrekorderaufnahme Farin Urlaubs, der den Die-Ärzte-Song „Der lustige Astronaut“ erstmals 1978 im Jugendzimmer aufgenommen hat. Auch zwei Stücke der Vorgängergruppe Soilent Grün aus dem Jahr 1982 finden sich. Auf den CDs sind Hörspiel-Albereien enthalten sowie ein äußerst amüsantes Radio-Interview mit Bela B. und Farin Urlaub aus der Sendung „SFBeat“ (1983), das deren Fähigkeiten zur Selbstironie (und zum Scheißelabern) aufs Feinste wiedergibt.
Ihre Stärke war das fröhliche Austarieren der Grenzen des Sag- und Singbaren. Bei der Nazi-Satire „Eva Braun“ („Sie war die Schönste aller Frauen – Eva Braun“) von 1983 etwa klingen Die Ärzte wie die musikalischen Vorboten dessen, was Christoph Schlingensief später filmisch machte. Farin Urlaub gibt einen passablen Hitler-Stimmimitator: „Ihrr Körrrper brrrachte mich immer wiederrr zur Ekstase“, singt er da, gefolgt von „Heil-Heil-Heil“-Chören – und Bela B. trommelt den Marsch dazu. Eine gelungene Provokation für die damalige Zeit, in der unter Biedermeier und Beton in der BRD noch allerhand Blut-und-Boden verborgen lag (und Hitlerparodien noch kein Volkssport waren).
So kam die Ironie auch nicht bei allen an, jedenfalls gab es Menschen auf Ärzte-Konzerten, die dazu den rechten Arm hoben – weshalb die Band das Stück aus ihrem Repertoire schmiss. Dass Die Ärzte mit Songtexten zu Sodomie provozierten, ist bekannt – hier ist eine Demoversion von „Claudia hat ’nen Schäferhund“ (1983) zu hören. Stücke wie dieses – und auch die beiden hier nicht vertretenen Songs „Geschwisterliebe“ und „Helmut K.“ (beide 1984) mit seinem Refrain „Helmut Kohl schlägt seine Frau“ – sind rückblickend gelungene Affronts gegen das sich aufs Private zurückziehende westdeutsche Bürgertum jener Epoche und den konservativen Backlash.
Oft ging es darum, das beredte Schweigen zu tabuisierten Themen zu brechen, manchmal auch mit roher Gewalt. Vor diesem Hintergrund ist ein Stück wie „Erwin“ von Soilent Grün zu lesen („Erwin hat keine Arme und Beine / und er denkt: „Scheiße, scheiße, scheiße, scheiße / das ist Zensur!“).
Ansonsten gibt es auf „They’ve given me Schrott“ vor allem zwei Kategorien von Songs: Solche, in denen Liebe und Sex in all seinen Möglich- und Unmöglichkeiten besungen wird, und solche, in denen Popikonen besungen werden, etwa „Buddy Hollys Brille“ (1985), „Peter Parker“ (1986), „Yoko Ono“ (2000) und „Norma Jean“ (1986) sowie „Brigitte“ (1987) über Brigitte Nielsen. Groß sind auch die Parodien anderer Musikstile. „Bingo Lady 2.0“ vereint New Wave, New Romantic und eigentlich alle 80er-Popgenres. „Bang Bang“ lehnt sich an Breakbeat-Geschichten aus den Neunzigern an. Nur die ins Englische übertragenen Stücke – gedacht für ein englisches Album, das nie erschien – funktionieren so gar nicht.
Im Moment wird spekuliert, ob Die Ärzte nach fast sieben Jahren ein neues Studioalbum veröffentlichen – ein Buchstabenrätsel auf der Ärzte-Website (www.bademeister.com) deutet drauf hin. „They’ve given me Schrott“ ist mehr als nur ein adäquater Aperitif dazu – denn die Kompilation zeigt, mit welchem Selbstverständnis und mit welcher Haltung Die Ärzte einst angetreten sind und wie sie diesen Ansatz sehr konsequent weiterverfolgt haben.
Die Ärzte: „They’ve given me Schrott – Die Outtakes“, 3 CD, 5 LP (… and more bears/Trocadero)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen