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Männerkunstim Eimer

Das Projekt „Chromosom XY. Männerkunst – Herrenkunst“ in der Bar Barbiche kreiert eine neue Kunstkategorie

Von Tom Mustroph

Für „Herrenkunst“ muss man in den Keller krabbeln, über ausgetretene Holzstiegen an einer unaufgeräumten Künstlergarderobe vorbei in einen kleinen Raum, der mit rotem Stoff verkleidet ist. Und mit den Kontrasten von Aufstieg und Abstieg, von Dominanz- und Subkultur spielt auch das Publikations- und Ausstellungsprojekt „Chromosom XY. Männerkunst – Herrenkunst“ der Kuratorin An Paenhuysen und des Künstlers Wolfgang Müller in der Künstlerbar „Barbiche“ in der Potsdamer Straße. Es wird von einem Katalog im Verbrecher Verlag begleitet.

Müller und Paenhuysen konstruieren für ihr Projekt gleich eine doppelte Umwegdefinition. Zum einen ist „Männerkunst“ von „Frauenkunst“ abgeleitet, also Kunst von und über Frauen, oft biografisch und autobiografisch, körperbezogen und emanzipatorisch aufgeladen. Im Blick des Zuschauers aber, so problematisieren Paenhuysen und Müller im Katalogtext, werde ‚Frauenkunst‘ „erotisiert, fetischisiert oder exotisiert“ – also erneut in Randzonen der Gesellschaft ausgelagert.

Ein Pendant zu dieser Art ‚Frauenkunst‘ fehle aber. Selbst Rückblicke auf die Kunstgeschichte à la „Mann und Surrealismus“ oder „Wie Männer DADA prägten“ gebe es nicht, spotten die Kuratorin und der Künstler. Diese Diskrepanz ist dann sogar dem Hauptstadtkulturfonds aufgefallen, der das Projekt finanzierte. Auf der Suche nach einer Kunst, die diese Fehlstelle besetzt, ist das Duo auf verschwundene, verschwiegene, in Sammlungen und Ausstellungen eher nicht oder nur selten präsente Arbeiten von Männern gestoßen. Zentrale Position nimmt eine Fotoserie von der Intervention des Künstlers Dieter Roth in eine Installation von Joseph Beuys ein.

Roth wollte 1979 Beuys’ Werk „Basisraum Nasse Wäsche (Jungfrau)“ mit einer spontan zusammengetragenen eigenen Installation kommentieren. Diese erregte allerdings keine Aufmerksamkeit. Ein Teil davon – ein Nierentisch, den Roth aus einem anderen Raum hereintrug – wurde von einem Besucher sogar als Sitz zur besseren Versenkung in die Beuys-Arbeit benutzt. So geht zumindest die Legende. „Verärgert stapfte Roth mit dem Fuß in den Fetteimer von Beuys, blieb darin hängen, versuchte ihn wieder daraus zu befreien, schlenkerte sein Bein hin und her, bis der Eimer sich vom Fuß löste“, beschreiben Paenhuysen und Müller die Situation im Buch.

Wie Roth sich den fettverschmierten Schuh an einer ausgelegten Dachrinne abzuwischen sucht, ist im Kellerraum zu sehen. Oben, neben der Bar des „Barbiche“, ist eine mehrteilige Fotoserie der Aktion ausgestellt. Bei Retrospektiven von Beuys wie Roth fehle diese Arbeit aber meist. Roths „zertrampeln“ ist also eine weitgehend unsichtbare Arbeit.

Bei Retrospektiven von Beuys wie Roth fehle diese Arbeit aber meist

Das Prädikat des Unsichtbaren kann man auch der Videodokumentation von Tom Skapodas Feuerattacke auf die Berliner Mauer in den 1980er Jahren zubilligen. „Das Video wird erstmalig in Deutschland gezeigt“, sagt Paenhuysen. Der martialische Gestus – ein Männerkörper leiht sich die Potenz der Flammen und attackiert Beton – qualifiziert die Arbeit zusätzlich als „Männerkunst“ im allersimpelsten Sinn. Aufgelöst wird diese Überdeutlichkeit dann aber durch die Biografie des Künstlers. Skapoda erlangte mit realistisch-fiktionalen Star-Interviews in den 1990ern als Tom Kummer eine gewisse Berühmtheit; bei der Entdeckung des fiktionalen Charakters der Texte brach dann der Skandal aus. Das Biografische ist aus seinen Arbeiten einfach nicht mehr wegzudenken.

Überschreibungen der Gendergrenzen unternahmen in den 1980er Jahren die Berliner Formationen endart und Die tödliche Doris. Endart-Künstler Klaus Theuerkauf etwa steckte sich eine Bürste zwischen die Beine und verbreitete Fotos der Aktion unter dem Titel „Geburt eines Igels“. Die tödliche Doris, – Mitbegründer war Ausstellungsmacher Wolfgang Müller –, reinszenierte in den 1980er Jahren Kunstwerke von Allen Jones. Jones’ Arbeiten wurde Sexismus vorgeworfen, weil er spärlich bekleidete Frauenkörper in Mobiliar transformierte. In den Reinszenierungen übernahmen männliche Darsteller die Mobiliar-Rollen, während Performerinnen diese ‚Möbel‘ benutzten.

Die Ausstellung hat Witz und ist mehr als nur ein Scherz im Kunstbetrieb. Vor allem evoziert sie jedoch die Frage, ob es für jedes Ding tatsächlich auch das passende Gegenstück geben muss. Benötigt bemühte „Frauenkunst“ zur Balance tatsächlich „Herrenkunst“?

„Chromosom XY“, Barbiche, Potsdamer Str 151, Di.–Sa. 17.00–0.00 Uhr

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