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wortwechsel„Seid ihr müde geworden, ihr (mittel-)alten Leute?“

Ist eine ganze Generation kampfmüde geworden? Nun schreiben uns Schulstreikaktivisten – und eine Urgroßmutter. Vom Brexit-Tauziehen sind jedenfalls alle Generationen erschöpft

London, 27. 2.: Pro-EU-Kundgebung vor dem britischen Parlament Foto: dpa

„Fridays for Future“, taz vom 23./24. 2. 19

Schließt euch uns an!

Sehr geehrter Herr Pötter, als bei „Fridays for Future“ aktiver, klimaaktivistischer Mensch möchte ich mich bei Ihnen für den uns wohlgesinnten Artikel „Future for Fridays“ bedanken und für die sicher sehr intelligenten Ratschläge. Erlauben Sie mir, dass ich darauf mit einem Gegenappell an „Ihre“ Generation antworte. Diese (mittel-)alten Leute! Millionen Menschen sitzen zu Hause, sitzen im Büro, fahren zur Arbeit, gehen einkaufen, buchen Flüge, lesen Zeitung, fühlen sich gebildet, bleiben tatenlos, statt sich für Gerechtigkeit und Menschlichkeit einzusetzen. Es ist schade, dass ihr viele seid. Ihr, die das Leiden und die Missstände, die heute auf der Welt bestehen, ignoriert. Ihr, die ihr eure Verantwortung immer wieder von euch schiebt. Ward ihr früher vielleicht mal anders drauf? Habt ihr euch früher nicht mit schönen Phrasen und der Abgabe von Entscheidungsmacht zufrieden gegeben? Was ist seitdem passiert? Seid ihr müde geworden? Seid ihr durch eure Arbeit und sonstige Verpflichtungen zu sehr eingebunden? Glaubt ihr nicht daran, dass ihr etwas bewirken könnt? Ihr bewegt euch nicht. Alles, wozu ihr gerade beitragt, ist, das bestehende System aufrechtzuerhalten. Dabei sind wir uns doch einig, dass wir so, wie wir gerade leben, nicht weiterleben können. Wir wissen doch, dass unser aktuelles System nur für wenige zu einem schönen (!) Leben taugt. Es fehlt euch an Fantasie. Ihr habt Angst, etwas zu verlieren, wenn ihr Bestehendes infrage stellt. Rüttelt euch wach! Unsere Welt muss nicht so aussehen, wie sie gerade aussieht. Verändert euren Lebensstil. Lasst das Fliegen sein, kauft keine neuen Sachen, unterstützt nicht die Ausbeutung an Mensch und Natur. Schließt euch zusammen. Werdet aktiv. Es liegt an uns allen, die Klimakrise aufzuhalten. Hallo! Schließt euch doch uns an! Findet eure eigene Protestform. Handelt endlich! Handelt verantwortungsvoll! Ihr seid vielleicht Chef*innen, seid vielleicht Eltern, seid Vorbilder, ihr trefft Entscheidungen für und über andere. Gerade ihr könnt doch Einfluss nehmen auf das Weltgeschehen. Hört euren Kindern zu. Oder habt ihr etwa schon aufgegeben? Ihr könntet für weniger Arbeits- und mehr Lebenszeit kämpfen, wenn ihr weniger kauft und wir mehr teilen. Ihr könntet kämpfen für ein Leben ohne Unterdrückung und Gehorsam, in dem wir alle selbst denken und unser Handeln selbstständig auf das Wohlergehen anderer abstimmen. Dann mal los! Anna Hofmeister, Freiburg

„Parents for Future!“

Kassandras Rufe verhallten bekanntlich wirkungslos. Gretas Appell und ihr monatelanger einsamer Schulstreik in Stockholm inspiriert nun auf bemerkenswerte Weise die Jugend, deutschlandweit, europaweit – weltweit? Aber dürfen wir den sehr jungen Menschen noch ohne den für sie wichtigen Schul- oder Studienabschluss die Verantwortung aufbürden, aus ihrem Enthusiasmus mit wohlmeinenden Ratschlägen eine anhaltende politische Bewegung zu machen? Muss es jetzt nicht auch andere Akteure geben, wie zum Beispiel „Parents for future“, um all die gewohnten klimaschädlichen Verhaltensweisen zu hinterfragen und gleichzeitig politisch notwendige Maßnahmen zu fordern? Wichtig ist eine starke Unterstützung für das Demonstrieren während der Unterrichtszeit, damit durch den zeitweiligen zivilen Ungehorsam Stellung bezogen werden muss von allen, die für Erziehung, Bildung und für eine zukunftsfähige Politik Verantwortung tragen. „Dann mal los!“ muss an alle gehen – generationenübergreifend in Verantwortung für die nachfolgenden Generationen. Dies schreibe ich als sehr besorgte Groß- und Urgroßmutter.

Dagmar Reemtsma, Hamburg

Brexit und Blairites

„Vorgeschobene Begründungen“,

taz vom 26. 2. 19

Nach langer Zeit wieder einmal ein lesenswerter Beitrag zu britischen Entwicklungen, der noch stärker akzentuieren sollte, dass diejenigen, die jetzt in- und außerhalb der Partei Corbyn herunter reden – unter anderem mit obskuren Antisemitismusvorwürfen –, in ihrer Mehrheit als Blairites bei der Abstimmung über den Irakkrieg 2003 nie ihre Unterstützung von Kriegsverbrechen und den Kriegsverbrechern Bush und Blair reflektiert haben.

Heinz Sünker, Wuppertal

„Der Brexit kommt trotzdem“,

taz vom 27. 2. 19

51:49 – ein klares Votum?

Werte taz, was bringt Dominic Johnson auf die Idee, dass ein mehrfaches Nachverhandeln und Abstimmen des Brexit-Vertrages etwas mit Demokratie zu tun hätte? Wenn man seitens der EU in Nachverhandlungen einsteigen würde, käme, da die Briten sich nicht im Geringsten darüber einig sind, was sie eigentlich genau wollen, der Brexit erst in etwa zehn bis zwanzig Jahren zustande. Die Europa-Politiker haben, meine ich, etwas Besseres zu tun, als sich jahrelang am Nasenring herumführen zu lassen. Der Brexit ist nicht nur „Quatsch“, sondern er ist die Folge unverantwortlicher innenpolitischer Machtspiele und einer grandiosen Fehlkalkulation; man hatte seinerzeit schlicht nicht damit gerechnet, dass die Abstimmung für „Leave“ ausgeht. Das super knappe 51:49-Ergebnis als eindeutiges Votum zu werten zeigt die Demokratieverachtung einiger Akteure. Das einzig Vernünftige wäre ein zweites Referendum mit den drei Optionen Brexit, wie mit der EU ausgehandelt, kein Brexit, harter Brexit. Roland Benz, Frankfurt a.M.

Make UK great again?

Hallo Mr. Johnson! Ja,der Brexit soll kommen, so bald und so verträglich für alle Seiten wie möglich. Faszinierend jedoch Ihre Realitätsverweigerung. Die EU-Position als Lüge zu bezeichnen – und ohne weitere Begründung die deutschen EU-Fans zu beschimpfen und die britische Regierung für ihre „Weitsicht“ zu loben – das hat satirische Qualitäten! Die „EU ist an allem schuld“ – diese Position kennt man in Europa. Make UK great again!

Wolfgang Rapp, Bundenthal

Ausstieg aus Diplomatie

Vielen Dank an Dominic Johnson für seine brillante Analyse in Sachen Brexit. Die starre Selbstgerechtigkeit der EU-Führung stellt einen Ausstieg aus der Diplomatie dar, wie er unter vermeintlichen Freunden einzigartig ist. Vor allem aber schwächt er Europa in Zeiten einer weltweiten Krise. Dass es der EU-Führung gelungen ist, mit ihrer Interpretation der Brexit-Situation den öffentlichen Diskurs in Europa und zumal in Deutschland zu bestimmen, ist mindestens so schädlich, wenn auf Dauer nicht noch schädlicher als die britische Entscheidung für den Brexit. Andrew James Johnston, Berlin

Kreativ unzufrieden

„Denk doch mal positiv!“, taz vom 27. 2. 19

Trotz ihrer harten Arbeit an sich und ihrer Beziehung zum positiven Lebensgefühl sei sie von dauerhafter Zufriedenheit immer noch weit entfernt, schreibt Franziska Seyboldt. Aber ist ein bestimmtes Maß an Unzufriedenheit nicht der Motor unseres Tuns und diese zu akzeptieren, also anzunehmen, der notwendige Schritt für eine grundsätzliche Zufriedenheit, von der aus wir die darüber befindliche, uns im Alltag heimsuchende Unzufriedenheit als die notwendige, also willkommen geheißene Herausforderung zu ihrer produktiven Überwindung ansehen? Statt sich von seinen unerfüllbaren Wünschen nach vollkommener Zufriedenheit regelmäßig frustrieren, hartnäckig zermürben zu lassen und von einer Glücks-Selbstarbeits-Therapie in die nächste zu springen, irre geführt und mit Ausnahme von ein paar hoffnungsvollen Momenten ständig „beunglückt“ von der Illusion dauerhafter Zufriedenheit. Am Ende ist es dann vielleicht genau diese, die uns doch wieder unzufrieden macht, weil sie uns der kreativen Antriebe zu ihrer Überwindung beraubt. Wolfram Hasch, Berlin

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