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Seht her, wie man im Kino erzählen kann

Nicht zeigen, um zu zeigen: Auch in diesem Berlinale-Jahr sind viele filmisch herausragende Arbeiten des Festivals in der Sektion Panorama zu sehen

„La fiera y la fiesta“ („Holy Beasts“) von Laura Amelia Guzmán, Israel Cárdenas Foto: Aurora Dominicana

Von Barbara Wurm

Es gehört zu den offenen Geheimnissen des Festivals, dass die größte Dichte an Überflüssigem stets im Wettbewerb zu finden ist, während umgekehrt das Gros der Filme, die im „Forum“ laufen, den sich neuerdings wieder „cinephil“ nennenden Menschen schlicht Freude bereitet. Auch dieses Jahr war das so, mit dem Zusatz freilich, dass sich der Wettbewerb besonders unterdurchschnittlich präsentierte, während das „Forum“ gerade im Jahr der Interimsführung (trotz Doppelbelastung der drei Leiterinnen also) zugelegt hat.

Die am meisten überraschende Spielregel der Berlinale aber lautet, dass sich ausgerechnet in der zwischen Wettbewerb und Forum positionierten Sektion „Panorama“ – gern gescholten aufgrund der allzu sehr auf die Botschaft bezogene Filmauswahl, – dann doch meist auch die filmisch herausragenden Arbeiten des gesamten Festivals verbergen. So auch in diesem Jahr.

Da wäre zunächst der viel zu wenig beachtete Krimi „The Miracle of Sargasso Sea“ des Griechen Syllas Tzoumerkas, der eine aufblondiert heruntergerockte Angeliki Papoulia (bekannt aus Filmen des oscarnominierten „Greek Weird Wave“-Starregisseurs Giorgos Lanthimos) als von der Stadt aufs Land verbannte Kriminalbeamtin rotieren und wahnsinnig saufen lässt.

Die sehr schlagkräftige Kommissarin trifft in der Provinz des gebeutelten Griechenland auf eine noch nachhaltiger als sie selbst heruntergekommene Gesellschaft, die zwischen Sexeskapaden (auf Video festgehalten) und Rockdarbietungen (pathosgetränkt) in der einzigen Bar des Orts ihre emotionalen Ventile öffnet und dabei hässliche Stars-and-Stripes-Bandanas trägt und Inzucht treibt.

Nicht zuletzt, weil sie und ihr Sohn selbst nun dazugehören, nutzt die Kommissarin ihre Autorität (besonders ihre Jungbullen kriegen sie zu spüren). Sie nähert sich der Täterin an, ihrem Alter Ego auf der vermeintlich anderen Seite des Gesetzes. Am Ende kurz zwei female buddies also. Tzoumerkas vermittelt meisterlich zwischen ultimativer Tristesse und innerer Hardcore-Brutalität. Er hat viel Zeit für Schweigen, dann wieder ist der Schnitt energiegeladen. Beides wird der Gewalt gerecht, die hier versuchsweise unterdrückt wird, und doch umso heftiger eruptiert. „The Miracle of Sargasso Sea“ ist ein ziemlich großer Genrefilm (endlich!).

Endlich angekommen im Kinoleben Deutschlands scheint auch Joanna Hogg. Ihr hochsensibler Film „The Souvenir“, der eine englische Upper-class-Liebe in Zeiten des Präheroinchic Anfang der 1980er erzählt, markiert einen filmstilistischen Festivalhöhepunkt. Auch jenseits der Noblesse, die Hauptdarstellerin Honor Swinton Byrne und deren Mutter (aka Tilda Swinton) auf Leinwand und Berlinale-Teppich bringen. Anmut und Grazie, Takt und Würde – selten hat man diese vergessen geglaubten Beziehungsingredienzen (die Julies Partnerschaft mit ihrem Geliebten Anthony prägt) so nachhaltig als dramaturgisches Element eingesetzt gesehen.

Selten auch werden Liebesbeziehungen so ungewöhnlich, weil elliptisch und präzise erzählt. Seht her, wie man erzählen kann im Kino, ruft die innere Stimme da allen Alles-Auserzählern des kontemporären Mainstream-Films zu. Was man alles nicht zeigen kann, wodurch das, was man zeigt, so viel mehr Aufmerksamkeit erlangt. Von Joan­na Hogg ist zu lernen. Auch, wie man einen semiautobiografischen Metakunstfilm weit jenseits der Selfieposing-Kultur anzusetzen hat, um über Kreativität (und Erotik) wieder wirklich reden und nachdenken zu können.

Schließlich – und auch hier ist kinematografisch Hochebene angesagt – „Holy Beasts“. Mit Geraldine Chaplin in einer ihrer größten Rollen und einem Udo Kier, der endlich mehr ist als nur eine kurz ins Bild gehaltene Pappfigur, die an die besseren Zeiten des Kinos erinnern soll – wenngleich freilich die paar wenigen Vampirszenen des Heiligsten aller Biester Kiers Performance als Choreograf am Filmset zu einem aufblitzenden Genrekino-Erlebnis inmitten großer Auteur-Kunst machen.

Schon seit ihrem Erstling „Cochochi“ (2007) erweist sich das Regieduo Laura Amelia Guzmán und Israel Cárdenas als kongeniale Mischung. Unaufdringlich perfekt die Perspektiven und Winkel der Kameraführung Cárdenas, subtil die Nähe zu den Charakteren, hochkomplex die Dramaturgie.

Hier kommt noch das Tropen-Klima der Dominikanischen Republik hinzu – der Film ist eine wunderbar eingefädelte Hommage an den vergessenen Filmpionier Jean-Louis Jorge (1947–2000). Sinnlich und grenzüberschreitend waren seine (bitte nun wiederzuentdeckenden) Filme. „Holy Beasts“ ist das sowieso. Im „Panorama“ des Festivals. Weit weit weg von MeToo & Co. Sexy, intelligent cinema. Soll es geben.

„The Miracle of Sargasso Sea“: 16. 2., 17 Uhr, Cubix 9 | „The Souvenir“ und „Holy Beasts“: keine weiteren Vorführungen

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