piwik no script img

Archiv-Artikel

Vom Rokkoko nach Vietnam

Etwa 400 Straßenmaler kamen nach Geldern und stritten um die Preise. Doch es blieb ziemlich leer auf dem Asphalt

Vom Boden des Marktplatzes lächelt Papst Benedikt, der XVI. Hier wird er nicht nass. Die kleine Janine Busbach hat einen guten Platz für ihn ausgesucht: In der überdachten Bushaltestelle. „Wenn der Papst schon mal in Deutschland ist, male ich ihn natürlich“, sagt sie. Aber die 13-Jährige ist die einzige mit dem Motiv beim 27. Straßenmalerwettbewerb in Geldern. Vielleicht liegt es an der Kölner Konkurrenzveranstaltung oder am fiesen Wetter. Die Gänge zwischen den etwa 400 Kreidekünstlern sind nicht wirklich voll. Überall sieht man Abdeckplane oder aufgestellte Garten-Pavillons.

Darunter malt prophylaktisch auch Martin Siegert (27) aus Münster. Ein schwarz-weißes Foto aus dem Vietnam-Krieg: Weit aufgerissene Münder von vietnamesischen Eltern, die ansehen müssen, wie ihr Junge – fälschlicherweise von amerikanischen GI‘s als Vietkong verdächtigt – abgeführt wird. „Ich war fasziniert, aber gleichzeitig so geschockt, dass ich das Motiv einfach malen musste“, sagt der Maler. Ab und zu fixiert er das Gemälde mit Haarspray. „Ist doppelt sicher“, sagt Siegert.

Einige Meter weiter arbeitet sich Roland Josutis aus Koblenz in gebückter Haltung über die abgeklebte Fläche. Der Meistermaler orientiert sich in „Das Kreuz mit dem Kreuz“ an einem Bild aus dem japanischen Parlament, das sich gerade im heftigsten Disput zu balgen scheint. Josutis ersetzt die Köpfe mit Merkel, Schröder und Kollegen. „Ich will die momentanen Hilflosigkeit des Wählers veranschaulichen“, sagt der Vorjahresgewinner der freien Künstler. Hannah Hesse aus Geldern packt die Politiker-Konterfeis lieber in Fließband-Hamburger: „Irgendwie schmeckt alles gleich.“ Danach wird es klassisch auf dem Trottoir. Helen Wolters und Frauke Siemens aus Geldern beschreiten die Spuren französischer Hofmalerei und färben den Asphalt in blau-grünen Tönen mit dem „Porträt einer jungen Dame“ von Vigeè le Brun aus dem 18. Jahrhundert. „Die Maler damals haben ja die vornehme Blässe der Adligen automatisch in deren Gesichter eingearbeitet“, sagt Frauke Siemens.

Insgesamt war es ein Künstler-Festival, das mit den unzähligen Straßenmusikanten am Wegesrand wieder zurück zu den Ursprüngen geht: Afrikanische Reggae-Rhythmen, Klaus der Geiger mit einem Streicherensemble und Cajun-Musik aus den nordamerikanischen Sümpfen mit der preisgekrönten Band „Yannick Monot & the Nouvelle France“. Und vielleicht ist der Papst beim nächsten Mal auch wieder mit von der Partie – als Motiv. STEFAN SADOWSKI