: Körper in Frage gestellt
Fragile Technik-Körper und Dialog mit Digitalem: Die Künstlerin Louisa Clement beschäftigt sich im Sprengel-Museum mit dem Menschsein in der technisierten Welt
Von Bettina Maria Brosowsky
Im vergangenen Jahr zeigte die Fotokünstlerin Louisa Clement in der Gruppenausstellung „Jenseits des Sichtbaren: Fotografische Erzählung als Spur“ im Braunschweiger Museum für Photographie ihre per Smartphone aufgenommenen großformatigen Stillleben aus Möbelarrangements, die vielleicht auf den Abtransport warten. Die Szenerien wirkten wie der schmerzhafte Abschied von einem alten, vertrauten Ort, Clement tauchte ihre morbiden Sujets in eine malerische Atmosphäre.
Nun widmet das Sprengel-Museum in Hannover der 1987 in Bonn Geborenen ihre erste groß angelegte institutionelle Einzelausstellung. Hier zeigt Clement in sechs Räumen die ganze Palette ihres künstlerischen Interesses, die „klassische“ Fotografie kommt dabei nur noch am Rande vor. Zwar bleibt sie dem Smartphone als bevorzugtem technischen Aufnahmegerät treu, es gibt aber auch bewegte Bilder, plastische Arbeiten und ein Virtual-Reality-Experiment zu sehen, das sich gleich noch das Thema künstliche Intelligenz in Interaktion mit dem Menschen vornimmt.
Museumdirektor Reinhard Spieler ist glücklich, zeigt sich so doch mehr denn je die geballte Kompetenz in Sachen Fotografie, auch in experimenteller Auslegung, die das Haus manifestieren kann, erst recht, seit es ab Mai 2016 durch einen zweiten Fotokurator verstärkt wurde. „Fotografie ist das zentrale Medium der Zeit“, findet Spieler.
Aber worum geht es Louisa Clement konkret? Etwas theoretisch aufgeblasen ist es ein neues Bild des menschlichen Körpers, vielleicht gar ein neuer Körper des Menschen, brisant in Zeiten hohen Innovations- und Selbstoptimierungsdrucks bei gleichzeitig erodierender politischer wie gesellschaftlicher Sicherheit. „Den Themenkomplex Technik-Mensch sehe ich ziemlich politisch; vor allem die Entkörperlichung finde ich schon sehr spannend, wogegen ich mit meinen Arbeiten angehe“, verlautbarte die Künstlerin einmal in einen Interview.
Denn der technisch oder medizinisch ertüchtigte Körper ist nicht gefeit vor Verletzlichkeit oder Gebrechen. Vielleicht sogar im Gegenteil. Clement erdenkt für ihn nämlich immaterielle, gläserne, fragmentarische Figuren ohne individualisierende Stärke – physisch sind es Schaufensterpuppen – wie in ihrer durchnummerierten Serie „Avatar“ oder in „Disruption“, hier sind es körperliche Einzelteile.
Gesicht als elementare Form
In ihren bunten Video-Loops „Not lost in You“ gleiten nun in pinkfarbene oder schwarze Echsen- bis Wildkatzentricotage gewandete Hände oder menschliche Gliedmaßen prüfend bis lustvoll an ihren transparenten Ebenbildern entlang. Aber ist der sich bewegende Partner wirklich noch belebt, oder gar schon technisch animiert?
Klingt hier vielleicht der kunsthistorische Rückgriff auf die handkolorierte surrealistische Puppenfotografie eines Hans Bellmer aus den späten 1940er-Jahren an, so referiert Clements schwarzer „Gliedermensch“, auch er durchnummeriert, auf eine neusachliche Fotografie der 1920er-Jahre. Das mag auch für die gesichtslosen Köpfe gelten, die sich als 55-teilige Porträtreihe „Head“ die Wände entlangziehen. Nur Farbe und minimale Oberflächentextur ermöglichen eine Unterscheidung, reduzieren das vormals menschliche Antlitz auf die reine, elementare Form.
Ist also grundsätzlich bei allen Arbeiten Clements Skepsis vor dem schönen Schein geboten, gilt diese besonders bei der großen Bodenarbeit „Transformationsschnitt“ aus schwarzen, scharfkantigen Brocken, die die Fläche des zentralen Ausstellungsraumes bedecken. Was nämlich erneut ungemein ästhetisch und so harmlos daherkommt, sind thermisch aufbereitete Chemiewaffen. Jahrzehnte international geächtet, sind sie seit 1997 verboten und müssen eigentlich zerstört werden, so einem Staat der Besitz nachgewiesen werden kann.
Dabei werden beim Verbrennen im Spezialofen bei rund 1.600 Grad Sand, Soda und Kalk hinzugegeben. Das ausfallende Granulat wird anschließend zu schwarzem Glas geschmolzen, in dem die Schadstoffe dann sicher gebunden sein sollen – so ganz traut man der Sache aber nicht. Wie auch Clements gleichermaßen wenig Sicherheitsgefühl vermittelnder Serie „Weapons“: Waffenkästen, die in Ausschnitten dargestellt ihren Verwendungszweck vergessen lassen wollen und eine abstrakte Ungegenständlichkeit zelebrieren.
Von dort ist es nur noch ein Schritt zur vollständigen Überwindung der vertrauten Abbildeigenschaft der Fotografie. Monochrome Flächen, sei es als umfunktionierte City-Light-Werbeflächen, die nur noch den im modernen Vierfarbdruck verwendeten Farbraum aus Cyan, Magenta, Gelb und Schwarz repetieren – „Porträt“, so der ironische Name des nun ultimativen neuen Körpers. Sei es in Gestalt der sich gegen den Betrachter wölbenden farbigen Spiegelobjekte, nun des eigenen Ich – sie beide hätten als erfrischender Bildersturm den Ausstellungs- und Erkenntnisgang beenden können.
Elektronische Haut
Aber da wäre noch der Raum, um die „E-dermis“, eine künstliche elektronische Haut, zu erfühlen, die eine US-Universität entwickelt hat, um Menschen mit Prothesen einen Tastsinn zurückzugeben. Hier wird sie nun umgekehrt eingesetzt. Oder das Virtual-Reality-Gerät, um in Clements brandneuer Arbeit „Aporias“ (zu Deutsch: Rat- oder Ausweglosigkeit) in den algorithmisch gesteuerten Dialog mit digitalen Wesen zu treten. Die neue Technik, so ein Fazit der Ausstellung, beansprucht also erst einmal viel Lebenszeit.
Bis 10. Juni, Sprengel-Museum, Hannover
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