: Machtsie frei!
Nicht nur in der Kunst soll sie sich meist doch einer Norm fügen: die weibliche Brust. Was aber halt mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. So viele Perspektiven auf Brüste wie in der Gruppenausstellung „Boobs – Wir zeigen Brust“ in der Karl Oskar Gallery sieht man selten
Von Lorina Speder
Obwohl die Kunst frei ist, wird der weiblichen Brust dort wenig Freiheit gewährt. Ihr haftet ein Tabu an, das sich durch die ganze Gesellschaft zieht. Sei es in abwertenden Blicken und Kommentaren, wenn ein Outfit ohne BH getragen wird, oder in Renaissance-Gemälden im Museum, in denen man meist auf einen wohlgeformten, doch sehr einheitlich aussehenden, weißen Busen blickt.
Genauso ist es heute in der überall präsenten Werbung, in der sich das Schönheitsideal der straffen Brust, die gut ein B-Körbchen füllt, weiter durchsetzt. Obwohl es in den letzten Jahren einige Bewegungen wie Free The Nipple oder Flat & Fabulous gab, hat sich gesellschaftlich nicht viel verändert. Die Darstellung von glänzenden Brüsten, die durch die eigenwillige Zensur des weiblichen Nippels oft nur angedeuteten werden können, ist in den Medien immer noch Garant für eine magnetische Wirkung auf das breitere Publikum.
Was man dabei schmerzlich vermisst, ist ein bisschen mehr visuelle Wahrheit über diese sensible und unglaublich vielseitige Körperregion.
Die Kuratorinnen Britta Adler und Saralisa Volm haben sich genau das in ihrer Gruppenausstellung „Boobs – Wir zeigen Brust“ in der Karl Oskar Gallery in Tempelhof zur Aufgabe gemacht. Nach der Ausstellung „Bitch Material“ mit dem Fokus auf Mutteridentitäten vergangenes Jahr im Kunstquartier Bethanien zeigen die Kuratorinnen nun eine erfrischende Vielzahl von Perspektiven auf weibliche Brüste.
Das schon erwähnte Schönheitsideal wird dabei nicht ausgelassen. Doch reiht es sich ganz demokratisch in Arbeiten über verschiedene Brustgrößen und Hautfarben ein. Das kann mal mit einer Prise Humor sein wie bei Annique Delphines Vitra-Stuhl, der mit künstlichen Blumen und ballförmigen Plastikbrüsten geschmückt ist. Oder eine geheimnisvolle Stimmung übertragen, wie in den außerweltlichen Inszenierungen von Julija Goyd. Die Fotografin bildet weibliche Brüste abstrahiert und von fluoreszierendem Wasser umrahmt ab und beleuchtet so das Mysterium Brust.
Eine andere Seite wird von Thedra Cullar-Ledford angesprochen. Wenn man es aushält, auf ihre Fotografie von ihrem herausoperierten Brustgewebe samt Nippel zu blicken, überträgt sich ein bitterer Ernst. Nachdem die US-amerikanische Künstlerin ihre Krebserkrankung durch diese Brustamputation überlebte, wurden ihr die sozialen Anforderungen an Frauen bezüglich der Körperregion, die ihr nun fehlte, besonders klar. Das macht die Arbeit zu einem Aufruf und zur Entlarvung. Denn was da so fleischig und wuchtig auf dem Operationstisch zu sehen ist, zeigt die Realität und gerade nicht den künstlichen Glamour, dem Brüste in Inszenierungen oft ausgesetzt sind.
Einen naturalistischen Blick auf die Brust zeigt Frédéric Schwilden in zwei Fotografien, die nebeneinander hängen. Auf der einen ist der Moment des Stillens eingefangen. In freier Natur saugt ein Baby hier an einer Brust, die schräg ins Bild hereinragt. Auf der anderen Fotografie sieht man eine durch Hormontherapie vergrößerte Trans-Brust von Grete, deren Oberkörper frontal mit der Kamera eingefangen ist. Die Gegenüberstellung einer Brust in ihrer natürlichen Funktion mit einem gewünschten Busen zeigt deutlich, wie körperliche Selbstbestimmung zu Selbstbewusstsein führt.
Schön zu sehen ist, dass sich viele Menschen, deren Brustregion in der Ausstellung auf Fotografien eingefangen wurde, mit ihrem Körper sichtlich wohl fühlen. Ob auf den Porträts von Sophie Mayanne, in denen Narben Nebensache werden, oder in den Gemälden von Peter Wilde. Als Vorlage für die suchte der Maler in sozialen Netzwerken nach Abbildungen von Frauen, die ihre Brüste als Lockmittel inszenieren. Sein Bildtitel „Ebony Chocolate Drop“ bezieht sich auf den Namen einer Protagonistin, die damit wiederum ihre Hautfarbe betont. Generell geht es in ihrem Selfie um Körperlichkeit. Vom Gesicht sieht man gerade mal den Kussmund, der ein spielerisches Zeichen setzt. Es geht um ihre Brüste, die im Zentrum stehen und spärlich mit einem eng anliegenden Top bedeckt sind.
Das führt zu einem weiteren Themenschwerpunkt der Ausstellung – das Verpacken, Stützen und In-Szene-Setzen von Brüsten. Spielerische Dessous und Reizwäsche sieht man zum Beispiel in der „Lingerie“-Serie des geschlechterüberschreitenden Künstlerpaars Eva & Adele. In einer Skulptur von Birgit Dieker wird die Wäsche anders benutzt. Die Künstlerin umschloss mit Büstenhaltern die vielen Rundungen, die aus ihrer Skulptur „Matrone“ herausragen. Die Verwendung von gedeckten Farben und Übergrößen der Dessous macht zusätzlich auf Brüste jedes Alters und jeder Größe aufmerksam.
Ob nun schlaff, rund, prall oder wegoperiert – was man in der Ausstellung an Brüsten sieht, kommt der Realität in jedem Fall näher als weibliche Brustdarstellungen in Museen. Dafür hat Kuratorin Britta Adler für manches ausgestellte Werk lange und weltweit gesucht. Weil viele KünstlerInnen der Ausstellung nicht durch Galerien vertreten und damit im Kunstbetrieb unterrepräsentiert sind, war das nicht immer einfach.
Besonders froh ist Adler, Raquel Paiewonsky aus der Dominikanischen Republik zeigen zu können. Ihre „Bitch Balls“ – aufblasbare Bälle mit Nippel in verschiedenen Erdtönen – kullern beim Gespräch vor Ort noch über den Galerieboden. Dass trotz offensichtlicher Missstände im Kunstbetrieb so mit einem Augenzwinkern auf die Präsenz von unterschiedlichen Brüsten hingewiesen wird, ist befreiend. „Es hilft ja auch nichts zu sagen, es ist alles so schrecklich“, sagt Adler und lacht.
Boobs – Wir zeigen Brust: Karl Oskar Gallery, Burgemeisterstr. 4, Termine nach Verein-barung, Finissage am Weltfrauentag, 8. März, 18 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen