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Nichtrauchen mit der App

Foto: taz- Raucherecke Foto: Karsten Thielker

An einem Sonntag Anfang Februar habe ich meine letzte Zigarette geraucht. Zusammen mit 70 Rauchern. Wir waren Teilnehmer eines Nichtraucherseminars. In der Pause bekamen wir die Möglichkeit, unsere letzte Zigarette zu rauchen. In meiner Schachtel waren noch drei. Ich habe sie in zehn Minuten geraucht.

Zwei Männer wollen uns therapieren. Sie zeigten Fotos von Raucherlungen, dann wird eine Spritze gegen Entzugssymptome verabreicht, danach Hypnose. Untermalt war die Veranstaltung von ständigem Husten, Röcheln und Räuspern. Manche Teilnehmer sahen so aus, wie uns die Therapeuten unsere Zukunft beschrieben, sollten wir nicht aufhören zu qualmen. Der Arzt, der mich gespritzt hatte, lächelte mir beim Abschied so aufmunternd zu, dass ich mir vornahm, ihn nicht zu enttäuschen.

Zu Hause aktiviere ich meine Rauchfrei-App, die mir anzeigen soll, wie viel Geld ich spare, wie sich mein Körper erholt, wie lange ich schon durchhalte. Die Aussicht, nicht mehr zu rauchen, deprimiert mich. Trotzdem gehe ich nicht los, um mir Zigaretten zu kaufen, sondern ins Bett.

Montag. Mein erster Gedanke: Ich rauche nicht mehr. Schlimm. Dafür meldet mir die App, dass ich schon 3 Euro gespart habe und mein Herzschlag dem eines Nichtrauchers entspricht. Ich hatte Probleme mit dem Herzschlag? Habe jetzt auf der Arbeit ein Problem mit meinem Stresslevel und Aggressionen und deshalb mit meinen Kollegen.

Dienstag. Meine App behauptet, ich müsse Wasser trinken und 30 Minuten spazieren gehen, um nicht dick zu werden. Steige auf die Waage: 100 Gramm zugenommen. Dafür ist kein Nikotin mehr in meinem Körper, aber in meinem Kopf. Mein Kollege, der mit mir im Seminar war, gesteht, er sei rückfällig. Ich bin neidisch auf ihn, er macht einfach weiter.

Mittwoch. Der Nachbar steht mit Mütze auf dem Balkon und raucht. Wir hatten den gleichen Rhythmus. Bin froh, dass ich jetzt nicht mehr raus muss. Es war so armselig, wie wir da standen und versuchten, uns gegenseitig zu ignorieren. Die Gewichtskontrolle zeigt weitere 100 Gramm nach oben. Aber mein plötzliches Herztodrisiko ist gesunken. Die App meldet: „Die Lunge dankt.“ Ab morgen benutze ich die Treppe in den 7. Stock.

Donnerstag. Die App berichtet, in vier Jahren halbiert sich mein Lungenkrebsrisiko gegenüber einem Nichtraucher. Nicht sehr motivierend. Konzentriere mich darauf, schon 30 Euro gespart zu haben. Ein Kollege erzählt, er habe nach einem Herzinfarkt aufgehört. Vor dem Krankenhaus wollte er noch schnell eine rauchen. Er hat es dann doch nicht getan und bereut das heute. Sie hätte seine Letzte sein können, und das gehöre zelebriert.

Freitag. Dank Treppensteigen sind die 200 Gramm Gewichtszunahme wieder weg. Beginne bei der Arbeit Raucher zu agitieren. Die Reaktion: Ich solle mich nicht so aufspielen. Das sieht meine App ganz anders: „Herzlichen Glückwunsch, normalerweise hättest du in den letzten 7.200 Minuten 80 Zigaretten geraucht.“ Na klar hätte ich das.

Isabel Lott

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