: Das Puzzleteil passt
Das Berliner Musicboard präsentiert die Arbeit aktuell geförderter Resident*innen. Eine von ihnen ist Dena Zarrin vom Avant-Pop-Projekt Madanii. Sie verbrachte den Januar in Teheran
Von Steffen Greiner
Literaturstipendien gibt es in Deutschland etwa so viele wie menschliche Ansiedlungen: keine Kleinstadt ohne Stadtschreiber*in, kein Gutshaus ohne Schriftsteller*innen-Wohnung? Übertrieben, klar. Aber das Literaturpreis-, Stipendiats- und Residenzenwesen in all seiner Bräsigkeit und Unreflektiertheit trägt doch dazu bei, dass mehr Menschen tatsächlich zumindest temporär davon leben können, künstlerisch tätig zu sein, als es der schrumpfende Markt hergeben würde.
Musikstipendien für Popkultur sind hingegen selten – das Musicboard Berlin brüstet sich gar damit, der einzige Akteur zu sein, der so Kultur fördert. Beliebt unter in Berlin lebenden Musiker*innen sind auch die Auslands-Residenzen. Neun Stück sind das mittlerweile, etwa in Detroit oder Sri Lanka, in Salvador de Bahia oder im italienischen Panicale.
Madanii durfte in diesem Jahr Zeit in der iranischen Hauptstadt Teheran verbringen. Genauer gesagt: Deren Sängerin Dena Zarrin ist erst seit zwei Wochen wieder zurück in Berlin, nach einem Monat in einem Teheraner Künstlerhaus. Vor ihr war etwa Andreas Spechtl von Ja, Panik dort, er veröffentlichte nach seinem Aufenthalt 2016 ein Krautrock-Album mit persischen Einflüssen, während Dan Bodan, Stipendiat 2017, seine Zeit dafür nutzte zu erkunden, wie die queere Szene der Stadt sich im Untergrund organisiert. Für Dena Zarrin bedeutete die Reise hingegen auch eine Auseinandersetzung mit einem Teil ihrer Identität, den sie früher, in ihrer Jugend in der fränkischen Provinz, zu verdrängen versucht hat: Zarrins Eltern kommen aus dem Iran. „Ich sehe nicht aus wie eine Deutsche. Mir wurde immer das Gefühl gegeben, dass ich nicht richtig dazugehöre. Ich habe versucht, mich zu assimilieren. Das Projekt Madanii ist heilsam: Ich bin deutsch und ich bin Iranerin. Warum muss ich mich entscheiden?“
Diese Frage stand auch 2016 am Beginn ihres Musikprojekts, das sie heute gemeinsam mit dem Producer Lucas Herweg immer weiter aus den Berliner Untergründen herausführt: Musik zu machen, die Zarrins iranischen Hintergrund erkundet, ohne exotistisch zu werden. „Das wird schnell ausbeuterisch, wenn Leute sich Klischees bedienen und das oberflächlich in Popmusik einsetzen. Und auf der anderen Seite des Spektrums gibt es Weltmusik. Aber wenig dazwischen.“ Außer Vorbilder wie M.I.A. – und überhaupt: „Als ich angefangen habe, war es so, dass Menschen wie ich, Musikerinnen aus der Second Generation, kaum sichtbar waren. Das hat sich mittlerweile geändert.“ Vielleicht wirkt die Musik von Madanii auch darum unendlich gegenwärtig.
Die Stücke entstehen aus Songmaterial, das an Ästhetiken zwischen Trap und Pop anschließt, und dekonstruierter iranischer Folklore, aus Volksliedern, Klängen, der Sprache Farsi. Dass es organisch ineinandergreift, die Musik das Konzept trägt, liegt an einem feinen Gespür für Balance. „Für mich geht es um das Paradoxe. Ich versuche, den Mittelpunkt zu finden, den Punkt, wo eine Reibung entsteht, ohne dass es erkennbar in eine Richtung ausschlägt. Aber auch das ist natürlich nicht – die reale Dena. In so einem Spiel um Authentizität will ich nicht mitspielen.“
In diesem Balanceakt zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung, Identitäten und Pop-Verfremdungen hat der Aufenthalt in Teheran die Musikerin geerdet. „Die Residenz war wie ein Puzzlestück, das vorher noch nicht richtig gelegen hat. Weil mir der kulturelle Kontext fehlt, weil ich hier aufgewachsen bin.“ Im Iran verbrachte sie viel Zeit damit, sich in die persische Musiktradition einzuarbeiten, Gespräche zu führen, neue Musikinstrumente kennenzulernen. Und sie traf Teile ihrer Familie – und erkannte mit Euphorie, dass das, was sie in Deutschland als besonders an sich empfindet, in Teheran zur Normalität gehört: Aussehen, Gesten, die Art zu reden.
Aber sie lernte auch das für Teheran typische Working Around kennen: Als Sängerin alleine aufzutreten wäre etwa kaum möglich – es sei denn, ein Mann summt leise im Hintergrund auf der Bühne mit. Und sie lernte die unterschwellige Paranoia vieler Iraner*innen kennen. „Alle Menschen im Kulturbereich sagten: Ich weiß nicht, ob ich morgen aufwache und noch einen Job habe. Eine Bekannte, die auf Instagram ohne Kopftuch auftritt, erwartet jeden Tag, dass jemand kommt und sie abholt. Aber gerade ist man einigermaßen sicher – es ist zu viel Kacke am Dampfen, niemand traut sich, Leute für Lappalien unter Druck zu setzen.“ Auch Zarrin, die neben der deutschen auch die iranische Staatsbürgerschaft besitzt, ließ das nicht unberührt: „Irgendwann spürte ich diese Schwere: Was, wenn ich etwas Falsches gepostet habe? Wenn sie meine Festplatte durchsuchen und Videos finden, wo ich ohne Hidschab rumtanze? Und sie mich nicht mehr weglassen?“
Am Teheraner Flughafen wurde sie dann doch einfach durchgewunken. Zurück in Deutschland – was ist geblieben? Am sichtbarsten: eine neue Bühnenoptik, beeinflusst durch Muster und Farben, durch Design aus dem Iran, durch Stoffe aus Teheran. Neue Musik ist im Entstehen begriffen – erst steht für Madanii aber Anfang März die Veröffentlichung zweier neuer Singles an, die noch vor dem Aufenthalt entstanden. Und natürlich: Die Werkschau der Resident*innen des Musicboard in der Kantine im Berghain am heutigen Mittwoch, wo das Duo gemeinsam mit Musiker*innen wie Paula Schopf aka Chica Paula, Paul Frick von der Klavier-Techno-Institution Brandt Brauer Frick und Enyang Ha auftritt, die zwischen Field Recordings, Techno und Dissonanz neue Soundräume erkundet.
Und weil die Berliner Szene nicht ruht, schreibt das Musicboard derweil schon neue Stipendien und Residenzen aus: Am 15. März ist die Deadline für Bewerbungen für eine Förderung im Jahr 2019.
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