Die Essenz Afrikas, wie René Gardi sie sah

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat der Schweizer René Gardi mit seinem Filmen und Fotobänden das Afrika-Bild der Deutschen geprägt. In seinem essayistischem Dokumentarfilm „African Mirror“ nähert sich Mischa Hedinger anhand von Tage-büchern und Briefen seiner Figur behutsam an (Forum)

Unberührtes Afrika: „African Mirror“ von Mischa Hedinger Foto: ton und bild GmbH

Von Michael Meyns

Vermutlich jeder hat beim Begriff Afrika ein Bild im Kopf, denkt an die Schönheit der Natur, an die reiche Tierwelt, an Armut, Bürgerkriege, den Ursprung von Flüchtlingsströmen. Alles nicht falsch, aber auch zu kurz gegriffen, doch solche simplifizierenden Klischees sind schwer zu überwinden. Im deutschsprachigen Raum prägte kaum jemand das Bild von Afrika so sehr wie der Schweizer René Gardi, der im Mittelpunkt von Mischa Hedingers essayistischem Dokumentarfilm „African Mirror“ steht, der im Forum gezeigt wird.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann der 1909 geborene Gardi zu reisen, zunächst meist nach Nordeuropa, bevor er schließlich Afrika entdeckte. Besonders die Sahara und später das nördliche Kamerun hatten es ihm angetan, von zahlreichen Reisen brachte er reichhaltiges Bild- und Tonmaterial mit, dort entstand sein Hauptwerk, der 1960 veröffentlichte Dokumentarfilm „Mandara – Zauber der schwarzen Wildnis“. Schon der Titel deutet an, wo der Schwerpunkt des Films liegt: Auf der Vorstellung der Afrikaner als Wilde, die in traditionellen Lebensformen fern der Zivilisation leben, unberührt von den Entwicklungen der Moderne, die in Westeuropa ungeahnte Veränderungen hervorbrachte.

Ein kitschiges Bild gewiss, aber auch nicht unbedingt ein grundlegend falsches. Zwar griff Gardi immer wieder auf Mittel der Inszenierung zurück, wählte bewusst bestimmte Personen der Stämme aus, ließ sie an Wasserstellen oder anderen „typischen“ Orten Szenen nachstellen, die seiner Vorstellung entsprachen, doch allzu viel eingreifen musste er nicht.

Anhand von Gardis Nachlass, der aus Tagebüchern, Briefen, Zeitungsartikeln, Filmrollen, Tonbändern und über 30.000 Fotografien besteht, nähert sich Hedinger seiner Figur an, lässt einen Sprecher Passagen aus Briefen und Tagebüchern vortragen, verzichtet jedoch bewusst auf eine kritische Einordnung. Allein Gardi kommt zu Wort, allein Gardis Weltsicht ist der Filter, durch den die ganz ohne Frage bemerkenswerten und ethnologisch bedeutenden Aufnahmen zu sehen sind, die Gardi aus Kamerun mitbrachte.

René Gardi als Relikt aus der Vergangenheit abzutun, scheint eine allzu bequeme Lösung, die ignoriert, wie wenig sich bis heute oft geändert hat

Und hatte er nicht in gewisser Weise damit recht, wenn er die Entwicklung bedauerte, die auch Kamerun nach der Unabhängigkeit 1960 durchlebte? Wenn Gardi da beklagt, dass „seine Eingeborenen“ nun lieber Blechschalen zum Kochen benutzen, statt selbst gemachte, dass sie lieber billige Plastikstühle benutzen, statt schön geschnitzte aus massivem Holz, dann sollten sich so manche moderne Bildungsreisende ertappt fühlen. Zumindest wenn sie so ehrlich sind zuzugeben, dass auch sie Menschen in fernen, „exotischen“ Ländern meist lieber in traditioneller statt in moderner Kleidung fotografieren, dass sie liebend gern Videos von allerlei Ritualen machen, die oft nur noch für Touristen aufgeführt werden.

Ob Gardi selbst diese Ambivalenz wahrgenommen hat, bleibt offen. Dass er Afrika geliebt hat, ist dagegen überdeutlich, doch welches Afrika hat er geliebt? Eines, das auf diese Weise nur in seiner Fantasie entstand, das nur dadurch existieren konnte, dass Gardi viele andere Aspekte ausblendete, nur das wahrnahm, was für ihn die Essenz Afrikas darstellte. Dies zumindest deutet Hedinger an, deutet aber auch an, dass dieser sehr reduzierte Blick des 2000 verstorbenen René Gardi kein Relikt der Vergangenheit ist. In Berlin stolpert man in diesen Tagen etwa wieder über Plakate für das André-Heller-Spektakel „Afrika Afrika!“, das mit seinem Fokus auf Akrobatik und Showeinlagen ebenfalls einen sehr speziellen, sehr reduzierten Blick bedient. René Gardi als Relikt aus der Vergangenheit abzutun, scheint da als eine allzu bequeme Lösung, die ignoriert, wie wenig sich auch Jahrzehnte später oft geändert hat.

15. 2., 19.30 Uhr, CinemaxX 4