: Dropouts auf Lebenszeit
Ernie Brooks, einst Bassist von The Modern Lovers, gastiert mit illustrer neuer Band im Neuköllner Arkaoda. Sein abgewetzter Bass könnte noch die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts erlebt haben
Von Jens Uthoff
Die moderne Welt ist nicht so schlecht. Nicht wie die Studenten sagen. So formulierte es 1972 die US-Protopunk-Band mit dem programmatischen Namen The Modern Lovers im ebenso programmatischen Song „Modern World“ – und noch ganze 47 Jahre später, auf einer kleinen Bühne im Neuköllner Club Arkaoda, klingt das herrlich erfrischend und befreiend.
„Well, the modern world is not so bad/ Not like the students say“, singt Ernie Brooks, damaliger Bassist der Bostoner Band, also nun, und weiter: „I‘m in love with the modern world/ Put down the cigarette/ And drop out of B.U. [Boston University]“. Brooks wippt zum motorischen Beat auf und ab; mit seiner Lederjacke und der in die Stirn gezogenen Mütze wirkt er tatsächlich wie ein Dropout auf Lebenszeit. Der abgewetzte Bass, der an ihm herabhängt, könnte übrigens die Siebziger auch schon erlebt haben
Es ist ein neues Trio, im Zentrum das Szeneurgestein Brooks, seit Langem in New York ansässig, erstmals in Berlin gastiert. Auch seine Mitstreiter sind keine Unbekannten, hinter dem Schlagzeug sitzt der langjährige Sonic-Youth-Drummer Steve Shelley, der Dritte im Bunde ist Matt Mottel, den man vom New Yorker Dada-Trash-Duo Talibam! kennt und der ein schickes weißes Umhängekeyboard bedient.
Es handelt sich also irgendwie um eine All-Star-Band, wobei das falsch klingt angesichts dieser Musiker, die immer für den Gegenentwurf eines Starsystems standen. Nennen wir es also besser ein vielversprechendes Mehrgenerationenprojekt. Denn der Jüngste der drei (Mottel) ist zu einem Zeitpunkt geboren (1981), als The Modern Lovers in der Urbesetzung (um den charismatischen Sänger Jonathan Richman) schon wieder Geschichte waren und Sonic Youth sich gerade gründeten. Eine eigens zur Tour aufgenommene 3-Song-EP ist bislang der einzige Output der Band, die nach ihren Mitgliedern benannt ist.
Zwar werden einige Stücke der Modern Lovers gecovert (auch das tolle „I’m born at the Suburbs“), es wird auch das Werk des früh verstorbenenen Avantagardemusikers Arthur Russell – ein Weggefährte von Brooks – mit Neuinterpretationen gewürdigt. Eigentlich aber geht es den dreien darum, etwas eigenständiges Neues zu kreieren. Und die neuen Tracks wecken durchaus Erwartungen. Ein Höhepunkt etwa ist das überwiegend instrumentale „Extracts from the Singing Tractors“, bei dem eine Saxofonistin und ein Trompeter auf die Bühne kommen. Das komplex arrangierte Stück wird auf rund zehn Minuten ausgedehnt, hat ein fast zappaeskes Setting. Vor allem das Zusammenspiel der Bläser, die sich kontrastieren, ist beeindruckend.
Ansonsten bildet die Rhythmusfraktion Brooks/Shelley meist ein groovig-stampfendes Fundament, über das Mottel mit flirrenden Keyboardtönen hinwegfegt – er ersetzt quasi den Gitarrenpart. So entstehen Songs, die mal Richtung Progrock, dann Richtung Kraut, dann Richtung Jazz ausfransen. Allerdings ist zu sehen und zu hören, dass es sich um ein recht junges Projekt handelt: Zum Teil ist die Abstimmung noch nicht optimal, vielleicht kommt die Tour etwas zu früh. Zwischenzeitlich gibt es überdies Soundprobleme – ein weiteres kleines Manko dieses Konzertabends. Aber wenn man Brooks, Shelley und Mottel dabei zusieht, wie sie so nonchalant ihr Set runterspielen, wie sie einzig und allein aus Spaß an der Musik und am Zusammenspiel hier sind, erscheint das schon wieder nachrangig. Etwas enttäuschend übrigens, dass nur rund 60 Besucher_innen ins Arkaoda gekommen sind.
Kurz nach dem Lobgesang auf die „Modern World“ schnappt sich Brooks dann seine Lederjacke, die er zwischenzeitlich abgelegt hatte, wirft sie sich über die Schulter und sagt: „Das war’s“. Man könne den Abend jetzt beim Plaudern an der Theke ausklingen lassen. Was kurz darauf in die Tat umgesetzt wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen