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100 Jahre Wissen für Bremen

Zahlreiche Volkshochschulen feiern in diesem Jahr hundertjähriges Jubiläum – so auch die VHS in Bremen. Mit Veranstaltungen und „Lernsalons“ wird gefeiert – und auch an die wenig glanzvolle Geschichte der Volkshochschule vor und während der NS-Zeit wird erinnert

Von Teresa Wolny

Auf der Dachterrasse der Bremer Volkshochschule in der Faulenstraße gibt es ein Schild für jede Himmelsrichtung: Oslo, 770 Kilometer Richtung Nord-Ost, Wien, 771 Kilometer Richtung Süd-Ost, Reykjavik 2.075 Kilometer Richtung Nord-West. Ein paar Stockwerke weiter unten kann man zwar bisher noch kein Wienerisch lernen, dafür aber unter anderem Plattdeutsch, Norwegisch, Isländisch oder Swahili.

„100 Jahre Wissen teilen“ steht auf dem Katalog, der in der Verwaltungsetage im Bamberger Haus, Sitz der Bremer VHS, auf dem Tisch liegt. Etwa 5.000 Kurse bietet die VHS lautDirektorin Sabina Schoe­fer pro Jahr an. Neben Integrations- und Sprachkursen stehen auch Neurolinguistisches Programmieren, Urban Gardening und Qigong im Programm.

Auf dem Tisch liegen außerdem Drucke von Werbeplakaten der Volkshochschule aus der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Unter der Überschrift „Arbeitsplan“ konnte damals etwa zwischen „Das Deutschtum im Auslande“, „Die deutsche Reichsverfassung einst und jetzt“ oder „Unsere heimische Vogelwelt“ gewählt werden. Bereits in diesen Kurstiteln scheint durch, dass die Gründung der Einrichtung im Jahr 1919 in einer völkischen Tradition stand. In Deutschland gab es nach dem ersten Weltkrieg eine ganze Welle von Volkshochschul-Gründungen. Und in Bremen gab es damals etwa mit dem Theologen und SPD-Politiker Emil Felden auch Vertreter, die eine Erwachsenenbildungsstätte im Sinne der Völkerverständigung im Sinn hatten.

Zu Anfang konkurrierten noch acht verschiedene Einrichtungen miteinander, erzählt der Historiker Matthias Loeber, der zur Geschichte der Bremer Volkshochschule geforscht hat. „Durchgesetzt hat sich schließlich das Konzept von Richard von Hoff“, sagt er. Von Hoff, während der NS-Zeit Bildungssenator in Bremen, habe bereits während des Ersten Weltkriegs eine Reihe von rassenideologischen und völkischen Aufsätzen veröffentlicht. Andere damalige Volkshochschulen, etwa in Bremerhaven, hatten Loeber zufolge ihren Ursprung dagegen eher im liberalen Bürgertum.

1941 wurde die Einrichtung dann in die sogenannte „Volksbildungsstätte“ umgewandelt. „Nach Kriegsende gab es sie eine ganze Weile nicht, bis sie 1954 unter Beteiligung von Reformpädagogen der 20er-Jahre wiedergegründet wurde“, erzählt Loeber.

Vorbild der deutschen Volkshochschulen waren die von Nikolai Frederik Grundvig gegründete „folkehøjskoler“ aus Dänemark. „Dort legte man ebenfalls Wert auf die Herausbildung von Nationalbewusstsein, allerdings auf moderatere Art und Weise“, so Loeber. Grundvig, der 1872 starb, sei später jedoch oft in seinem Werk verzerrt und in seiner Person massiv überhöht worden. Merkmale des skandinavischen Modells sind heute nach wie vor etwa der Verzicht auf Schulnoten sowie der Fokus auf gemeinschaftlich organisiertes Leben, lebenslanges Lernen und die Teilhabe der Schüler*innen.

Sabina Schoefer findet es wichtig, sich mit dieser problematischen Vergangenheit der Bremer Volkshochschule auseinanderzusetzen. „Eine 100-jährige Einrichtung hat eben eine bestimmte DNA und da muss man einfach Licht ins Dunkel bringen“. Es sei auch nicht alles in der Vergangenheit „dunkel“ gewesen. „Im Grunde genommen hat durchaus das Gute gesiegt, denn das Gute sind eigentlich die Dozierenden, die ein Interesse daran haben, dass die geistige Entwicklung der Stadt sich entwickelt“, so Schoefer. In der zweiten Jahreshälfte findet eine Ausstellung zur Vergangenheit der Bremer VHS statt. In den Regionalstellen der Stadtteile Gröpelingen, Vegesack, Vahr und Kattenturm wird es unter anderem auch um die Angebote der Volkshochschule während der Werftenkrise gehen.

Viele der heute angebotenen VHS-Kurse gehören zum Bereich der Weiterbildung. In der Grundbildung können aber auch Alphabetisierungskurse belegt werden. Diese richten sich nicht nur an ausländische Menschen: 60 Prozent der rund 60.000 Personen im Land Bremen, die nicht richtig lesen und schreiben können, seien deutsche Muttersprachler*innen, erklärt Schoefer.

Seit 2007 hat die Zentrale der VHS ihren Sitz im Bamberger Haus in der Faulenstraße. „Erst seit elf Jahren besitzt Bremen als letzte deutsche Großstadt ein Bildungshaus“, sagt Schoe­fer. Die geschichtsträchtige Institution ist dabei auf ein geschichtsträchtiges Gebäude gestoßen. In dem geschwungenen weißen Haus mit Turm befand sich bis Anfang der 30er Jahre das „Bambüddel“, wie das Kaufhaus von Julius Bamberger genannt wurde. Dem auch unter seinen Mitarbeiter*innen beliebte jüdische Kaufhausgründer gelang später über Umwege die Flucht in die USA. Zu seinen Nachfahr*innen hat die Volkshochschule Bremen Kontakt.

Besonders am Herzen liegen Sabina Schoefer Kurse mit digitalen Themen. „Ich bin fasziniert von der Art und Weise, wie da zusammengearbeitet wird“, sagt sie in Erinnerung an einen Hackathon, der ohne Pause ein ganzes Wochenende lang lief. Auch in Zukunft sieht Schoe­fer die Auseinandersetzung mit Digitalisierung als eine der zentralen Aufgaben der Volkshochschule. „Wir haben in der Gesellschaft Themen mit nationalistischen Tendenzen, enormer Individualisierung, An­alphabetisierung, Digitalisierung und Arbeit 4.0.“ Die Gesellschaft werde sehr viel lernen müssen, um mit diesen Herausforderungen umzugehen.

„Eine 100-jährige Einrichtung hat eben eine bestimmte DNA und da muss man einfach Licht ins Dunkel bringen“

Sabina Schoefer, VHS Bremen

Auch deswegen ist es Schoe­fer wichtig, dass die Preise nicht steigen. „Wir haben nun mal eine soziale Spaltung und für viele sind die Kurse zu teuer.“ Das Dilemma eines kommunalen Eigenbetriebs wie der VHS sei es, dass er wirtschaftlich sei, gleichzeitig aber gemeinwohlorientierte Bildungsarbeit leisten solle. Die Grundversorgung deckt die Bremer Kommune, sieben von den zehn Millionen Euro Jahresumsatz erwirtschaftete die Volkshochschule hingegen selbst. Das Geld kommt nicht nur aus den Teilnehmer*innengebühren der Kurse, sondern insbesondere bei der Projektfinanzierung auch aus Bundes- und europäischen Mitteln. Die VHS müsse eine Teilhabe für alle Menschen aus der Gesellschaft und Orte demokratischen Lernens sein, sagt Schoefer. Wenn dies etwa durch Diskussionsveranstaltungen geschehen soll, sei es wichtig, dass sie kostenfrei angeboten würden.

Mehr als 900 Kursleiter*innen lehren an der Bremer Volkshochschule. Ein Großteil von ihnen ist mit Honorarverträgen freiberuflich tätig. „Die Grundidee ist nach wie vor, dass Menschen ihr Wissen an andere weitergeben, und das machen viele Leute gerne“, sagt Schoefer. In den letzten Jahren habe bei den Beschäftigungsverhältnissen aber dennoch eine Veränderung stattgefunden. Besonders bei den Integrationskursen unterrichteten viele wie in einem normalen Angestelltenverhältnis. Schoefer ist froh, dass für diese Fälle mittlerweile Rahmenvereinbarungen getroffen wurden. Aber auch bei den Honorarkräften sei durchaus noch „Luft nach oben“. Die oft herausragende Leistung der Dozierenden müsse entsprechend honoriert werden: „Alle sprechen über lebenslanges Lernen, die Investitionen sind aber noch nachholbedürftig.“

Da 1919 auch in zahlreichen anderen Städten Volkshochschulen gegründet wurden, findet im Februar in der Frankfurter Paulskirche ein zentraler Festakt statt. Auch im Bremer Rathaus wird es dazu im November eine Veranstaltung geben, getreu dem Satz: „Wir werden 100. Das wollen wir feiern. Sie sind eingeladen.“

Das eigentlich Besondere im Jubiläumsjahr sind daneben aber die 100 angebotenen Lernsalons. Hier können Interessierte nach der alten Tradition des Salons als Ort gemeinschaftlichen Lernens etwa hinter die Kulissen der Bremer Polizei oder der Bürgerschaft schauen – und zwar kostenlos, so Schoefer: „Das sind Geschenke an die Bremer*innen, denn denen gehört schließlich die Schule.“

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