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Nichts Vorgekautes

Wie steht es um „Den Wert der Freiheit“? Eine Ausstellung im Wiener Belvedere 21 hechelt die Frage in mehr als 50 Positionen durch. Anstrengend, aber es lohnt sich

Igor Grubić, „366 Liberation Rituals (Against Trash)“, 2008–2009, Fotodokumentation einer Aktion im öffentlichen Raum in Zagreb Foto: Belvedere 21

Von Beate Scheder

Sogar die Freiheit hat Stacheln. Zumindest bei einer Skulptur der Künstlerin Šejla Kamerić ist das der Fall: Mit großen Buchstaben hat sie das Wort „Liberty“ geformt. Neonweiß strahlt es wie eine hübsche Leuchtreklame. Berühren sollte man den Schriftzug jedoch besser nicht. Die Künstlerin hat Metall-Spikes, wie man sie zur Taubenabwehr einsetzt, oben auf den Lettern angebracht. Keiner soll ihnen offenbar zu nahe kommen. Braucht es etwa Gewalt, um die Freiheit zu schützen?

Freiheit, ach ja. Ein großes Wort. Das höchste Gut. Alles und nichts. Seit Menschengedenken zerbricht sich die Philosophie ihren Kopf über sie, wie auch alle anderen: Immer und überall geht es in den großen Diskursen der westlichen Welt letztlich darum, um die Freiheit, so zu leben oder anders, so zu lieben oder anders, um die Freiheit, zu sprechen oder zu schweigen, wegzugehen oder zu bleiben. Und das erst recht, seit Mauern wieder hoch oben in der Gunst der Mächtigen stehen und sich die Verheißungen des Internets, Grenzenlosigkeit, Transparenz und Offenheit für alle zu gewähren, ins Gegenteil verkehrt haben.

Der Zeitpunkt könnte kaum besser gewählt sein, sich des Themas anzunehmen. „Der Wert der Freiheit“ nennt sich eine Gruppenausstellung im Wiener Belvedere 21 über das „komplexe Geflecht aus gegenseitigen Abhängigkeiten und Wechselwirkungen“, von denen die individuelle Selbstbestimmung beeinflusst wird.

Šejla Kamerić’ „Liberty“-Skulptur ist dort zu sehen, wenn man die erste Hürde überwunden hat: Eva Grubinger hat im Eingangsbereich der Ausstellung mit schwarzem Absperrband einen Zickzack-Parcours abgesteckt, wie man ihn von Flughäfen kennt, wenn vor der Sicherheitskontrolle Menschenmengen in geordnete Bahnen gelenkt werden sollen. Schon ist sie hin, die Bewegungsfreiheit. Passenderweise blickt man, immer dann, wenn man in Grubingers Installation nach links geht, direkt auf eine weitere Arbeit, die am Flughafen spielt: In Aer­nout Miks Zweikanal­videoarbeit „Touch, Rise and Fall“ entspinnen sich aus den alltäglichen Arbeitsabläufen des Sicherheitspersonals absurde Aktionen: Koffer werden aufgetrennt, Plüschtiere aus Souvenirshops seziert.

Auch Marlene Haring hat eine Absperrung ins Belvedere 21 stellen lassen, nur dass man um diese problemlos herum­gehen kann. Die Audioarbeit, die dazugehört, hat Haring während der Eröffnung der 6. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst im Jahr 2010 aufgenommen. Als Kommentar auf das ungleiche Geschlechterverhältnis der ausstellenden Künst­ler*innen – 33 Künstler zu 12 Künstlerinnen – gewährte sie Be­sucher*innen immer nur im selben Verhältnis Einlass. Die Folge: lange Schlangen bei den Frauen und lautstarke Diskus­sio­nen. Direkt daneben hat Simon Dybbroe Møller einen Turm aus Steckelementen von Turnhallenböden aufgebaut, der eine mögliche Abkürzung versperrt. Es scheint – das machen allein schon diese Arbeiten deutlich – zu den Eigenschaften von Freiheit zu gehören, dass sie sich primär über ihr Gegenteil beschreiben lässt, über Abgrenzung und Ausgrenzung, über Zwang, Zensur und Unterdrückung.

Mehr als 50 Künstler*innen und Kollektive sind in der Ausstellung versammelt. Irre viel ist es, was Kurator Severin Dünser dem Museumspublikum zumutet. Zwölf Stunden würde es allein dauern, sich alle gezeigten Videoarbeiten anzusehen. So lange hat das Museum am Stück noch nicht einmal auf. Schlicht unmöglich ist es also, sich die Ausstellung komplett anzusehen. Als Besucher*in muss man zwangsläufig eine Auswahl treffen und sich überhaupt seinen Weg selbst bahnen. Einen roten Faden gibt es nicht, erst recht keine vorgekaute These zum Nachbeten, keine Räume, nur ein paar Nischen und halbtransparente Stellwände aus Bauzäunen. Auf diesen geht es mal um das Wesen der Freiheit, mal um Demokratie als Staatsform, um Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeiten, um Überwachung und Kontrolle, um Feindbilder und Korruption, um Subjektivierung und Identitätspolitik, um Selbstoptimierung und Produktivität. Unter anderem. Je nachdem, wie man sich die Arbeiten hintereinander weg zu Gemüte führt, ergeben sich im Wust an Fragestellungen und Perspektiven Bezüge oder Reibungen.

Pilvi Takala als nichtstuende Praktikantin („The Trainee“) erscheint einem dann womöglich wie ein direkter Kommentar auf Harun Farockis Dokumentation „Ein neues Produkt“, in dem dieser das Team einer Unternehmensberatung begleitet. Und Kosts Velonis’ Holzlatten („At the End of Demonstration Day“), die einst Transparente trugen, könnte man für Requisiten aus Hiwa Ks Video von antifaschistischen Erste-Mai-Demonstra­tionen in Berlin halten („May 1“).

Die Ausstellung funktioniert wie eine in alle Richtungen ausufernde Mindmap

Die Ausstellung funktioniert wie eine in alle Richtungen ausufernde Mindmap, auf der abgesteckt wird, woran unsere Welt momentan krankt. Im Großen wie im Kleinen.

Forensic Oceanography etwa, eine Untergruppe des Recherchekollektivs Forensic Architecture, arbeitet en détail die Vorwürfe gegen die Besatzung der „Juventa“, ein Schiff der Hilfsorganisation Jugend Rettet, auf. Dieser wird zur Last gelegt, mit Menschenschmugglern gemeinsame Sache gemacht zu haben. Leon Kahane hinterfragt die Codes Berliner Jugendlicher aus Brennpunktvierteln, Andreas Siekmann die Unterwanderung städtischer Strukturen durch Lobbyisten, Amalia Ulmann die eigene Angst vor sozialem Abstieg als Künstlerin. Selbst aktiv werden kann man unter anderem bei Superflex, wo man sich per Vertrag zur Korruption verpflichtet – hintergründiger Witz kommt durchaus nicht zu kurz; Isabella Celeste Maund lässt sieben Fragen beantworten und spuckt danach ein personalisiertes cyberfeministisches Manifest aus.

Zu jeder Arbeit gibt es einen einführenden Text, ob man sich auf sie einlässt, muss man selbst entscheiden. Schließlich geht es um Freiheit: Dass sich die Be­sucher*innen diese nehmen, die Freiheit selbst zu denken nämlich, scheint Dünser zu erwarten. Durchaus anstrengend ist das, aber wie sonst könnte man der Komplexität unserer Zeit auch gerecht werden? Es ist angeraten, sich ausgeschlafen und mit viel Zeit ins Museum zu begeben. Oder noch besser: mehrfach wiederkommen.

Bis 10. Februar, Belvedere 21, Wien

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