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Der May ist gekommen

Karl May? Die Legende lebt! Den Beweis liefert das Kulturgeschichtliche Museum Osnabrück mit seiner ambitionierten, teils skurrilen Dioramen-Schau „Blutsbrüder“

Ein bisschen wie aus der Zeit gefallen: Wolfgang Willmanns Winnetou-Dioramen Foto: Claudia Drecksträter/Museumsquartier Osnabrück

Von Harff-Peter Schönherr

Es gibt Tiere, die sind an Museen gewöhnt. Kaum ist die eine Ausstellung vorbei, wartet auch schon die nächste. Auf der Ladefläche des weißen Benz Atego 818, den Kurator Dr. Thorsten Heese Mitte Januar vor den Lastenaufzug des Museumquartiers rangiert, warten vier Bisons, ein Grizzly, zwei Adler, ein Stinktier, ein Schwarzbär und zwei Kojoten. Plus zwei Wannen Kotfladen, Gestrüpp und Präriestaub.

Aufgeladen hat Heese das alles in Münster, beim LWL-Museum für Naturkunde, teils direkt aus der erst Tage zuvor beendeten Dauerschau „Prärie- und Plainsindianer – Wandel und Tradition“. Und dann ist er da, der Augenblick der Wahrheit: Nein, so groß der Aufzug auch ist, der Bisonbulle passt nicht rein. Nicht längs, nicht quer – gar nicht. „Mist!“, sagt Heese und drückt noch mal. „Drei Zentimeter!“ Nils-Arne Kässens, Direktor des Hauses, lacht und macht Smartphonefotos. Okay, wieder raus. Und alle mit anpacken, denn jetzt bleibt nur noch die Treppe, rauf zum Foyer.

Oben steht der Wiederkäuer dann direkt neben einer Zielscheibe – und wer will, greift zu Pfeil und Bogen. Sie besitzen Ironie, die Macher der „Bluts­brüder“, so ernst sie ihre Sache auch nehmen, kulturhistorisch.

Ideengeber der Schau ist Prof. Dr. Andreas Brenne, Kunst/Kunstpädagogik, Universität Osna­brück. Einen Tag nach Ankunft der Münsteraner Fauna steht er am Museumsshop und erzählt von Rheinland-Pfalz. Da, in Osthofen, ist nämlich das „Weingut Karl May“ zu Hause. Da keltern Karl, Peter und Fritz May, weil sie eben so heißen, und weil auch sie Ironie besitzen, den Wein „Blutsbruder“. Ein Roter und ein Weißer natürlich, beide trocken; beide gibt es im Shop als Sou­venir. Mit dem Karl May sind sie nicht verwandt. Brenne, lachend: „Humor, die Burschen!“

Zerrissen von Ambivalenzen

Brenne ist Mitglied der Karl-May-Gesellschaft; vor anderthalb Jahren hat er dem Museum seine „Blutsbrüder“ vorgeschlagen. Sein erster May-Band war „Der Schatz im Silbersee“, mit sechs Jahren. Aber die wahre Augenöffnung kam durch Avantgarde-Literat und May-Aficionado Arno Schmidt, ohne den es der Winnetou-Erfinder, oft inhaftiert, oft geschmäht, oft entlarvt, oft zerredigiert, vielleicht nie zu literaturwissenschaftlichen Weihen gebracht hätte.

Während um ihn her „Blutsbrüder“ aufgebaut wird, braucht Brenne keine drei Sätze, um uns Pierre Brice und Lex Barker vergessen zu lassen, zumindest zeitweilig. Mays Welt, lernen wir, war vor allem eins: zerrissen von Ambivalenzen. Wer in May nur einen schizoiden Fake-Abenteurer sieht, der es nie über Kolportage-Storys hinausgeschafft hat; nur eine profitgierig vermarktete Popkultur-Ikone, von der langsam der letzte Lack abblättert, geht fehl. May steht für Rassismen, aber auch für Friedensutopien. May hat Billigkitsch rausgehauen, aber auch ein anspruchsschweres Spätwerk hingelegt. Mays psychotischer Selbstüberhöhung entsprang, auch, beachtliche Krea­tivität.

Die Schau hat Schauwerte. Viele. Aber sie regt auch zur Reflexion an. Sehr. Und beides tariert sie kundig aus. Wer will, kann sich in Upcycling-Indianerkluft werfen und sich zwischen Schwarzbär und Kojoten in ein Rundhorizont-Diorama stellen, für ein Foto. Auf einem Greenscreen stehen zwölf Hintergründe zur Verfügung, von klassisch (Monument Valley) bis, wie Brenne lacht, „wirklich strange“ (Indianerreservat mit Deutschlandflagge). Wer will, kann sich aber auch Gedanken machen, was es mit den schwarzweißen Böden und Infomöbeln auf sich hat: Sie illustrieren Gegensätze wie Gut/Böse und Realität/Fiktion.

Und dann sind da natürlich Dr. Wolfgang Willmanns 30 Western-Dioramen, alle ein bisschen wie aus der Zeit gefallen. Halbplastische Zinnfiguren, 1907 bis 1930er-Jahre, handbemalt. Modelleisenbahn-Plastik. Besonders lustig: Ein Filmset mit Kameramann und Beleuchter, Winnetou-Darsteller und VW-Käfer.

Klischees und Legenden

Faktengeladen und tiefgründig, aber auch emotional und witzig: Die Schau macht alles richtig, was eine Schau machen muss Foto: Claudia Drecksträter/Museumsquartier Osnabrück

„Blutsbrüder“ macht alles richtig, was eine Schau richtig machen kann und muss, wenn es um Klischees und Legenden geht, um Wahn und Visionen, um Sehnsuchtsorte und ihre Kollision mit der wirklichen Welt. Sie ist faktengeladen und zugleich emotional, sie ist tiefgründig und witzig, zieht Erwachsene an und schreckt Kinder nicht ab, bedient Enthusiasten und Neu­lin­ge, weckt Nostalgie und Wissenschaftslust. Ein Spagat, aber kein schmerzvoller.

Das zieht sich bis ins Begleitprogramm: Gitarrist Claus Boes­ser-Ferrari spielt „The Winnetou Tapes“. Der US-Dokumentarfilmer und Native American Red Haircrow zeigt „Forget Winnetou!“ Es gibt Live-Hörspiel und Wildwest-Reenactment. Jean-Marc Birkholz ist da, der schöne Winnetou der Karl-May-Spiele in Elspe. Auf Führungen werden Medizinbeutel gebastelt…

Bevor Fragen kommen: Ja, einiges der Schau ist, ganz offensichtlich, Fake: Winnetous Silberbüchse zum Beispiel, klar. Die Nachbildung einer Filmwaffe, garantiert nichts für ein Rialto-Geballere mit endlos Ammo. Anderes ist, weniger offensichtlich, echt: Der perlenbestickte Wildlederanzug eines Plains-Indianers aus der Zeit um 1840 etwa, vor 100 Jahren dem Museum überlassen. Die Lust am Detektivischen lohnt sich also.

Ach ja: Vor dem Museum steht ein 4 m hohes Tipi. Schläft sich bestimmt gut darin nach einer Flasche „Blutsbruder“.

„Blutsbrüder – Der Mythos Karl May in Dioramen“: Bis 2. Juni, Osnabrück, Kulturgeschichtliches Museum

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