: Seifen-Workshop statt Sextourismus
Eindrücke vom Elektronikfestival „Wonderfruit“ im thailändischen Küstenstädtchen Pattaya
Von Natalie Mayroth
Wer sich über Pattaya informiert, wird selten Erbauliches über die Stadt an der Ostküste Thailands erfahren. „Ich würde niemals dahin fahren“, sagt Goy, die im 130 Kilometer entfernten Bangkok eine Brillenboutique betreibt. Doch einmal im Jahr, an einem Wochenende Ende Dezember, macht es die 40-Jährige doch. Denn dann steigt dort das Musikfestival Wonderfruit. Mit Goy zieht es mehr als 10.000 BesucherInnen auf das Gelände des Siam Country Clubs, der im Besitz der Familie des Festival-Mitgründers Pranitan Phornprapha ist. Zusammen mit dem Musiker und Schauspieler Montonn Jira rief die Familie Phornprapha 2014 eines der bekanntesten Elektronikfestivals in Südostasien ins Leben. In seinen Statuten ist Nachhaltigkeit als zentrale Maxime festgelegt.
Für ihr Festival haben sich die Betreiber einen schlecht beleumundeten Ort ausgesucht. Außerhalb von „Wonderfruit“ gilt Prattaya als Mekka für Sextouristen. Einst kamen GIs der U.S. Army, die sich hier während des Vietnamkriegs im Urlaub vergnügten. Und noch heute zählt Prostitution zur wichtigsten Einnahmequelle vor Ort. Doch seit einiger Zeit ändert sich der schlechte Ruf der Stadt. Junge, hippe und gut betuchte Thais sowie Reisende aus Europa und den asiatischen Tigerstaaten frequentieren vermehrt das verschlafene Küstenstädtchen, das gefühlt aus einem langem Strand, unzähligen Bierbars und Golfplätzen besteht.
An diesem Donnerstagabend im Dezember verwandelte sich einer der vielen Country Clubs in eine bunt leuchtende Spielwiese, übersät mit Bambus-Bühnen, Yogamatten und Gourmet-Imbisshütten. In vier Tagen traten über 150 internationale KünstlerInnen auf. Darunter die zentralasiatischen Kehlkopfsänger Hunn Huur Tu & DJ Carmen Rizzo, der Pekinger Produzent Howie Lee, der eine akustische Vision namens „Sino Future“ aufführte, und aus Berlin reiste das Duo Soukie & Windish an. Zwischen „Katermukke“ (David Dorad, Sven Dohse, Martha van Staaten) und den britischen Künstler Craig Richards mischten sich Lokalmatadore wie der thailändische Dream-Pop-Sänger Phum Viphurits und die Comedian Tukky, die im pinken Paisleyanzug das Publikum zum Schreien brachte.
Mendy Indigo aus Bangkok spielte ebenso harten Techno wie die Berliner DJ Margaret Dygas und Eileen Chan alias Cats on Crack. Rhythmische House-Beats inklusive Cocktails wurden an einer der kleineren Bühnen serviert. Versöhnt wurde, wer bis zum Morgengrauen die Augen offen halten konnte, wenn frühmorgens gegen 6 Uhr die Wolken auseinanderrissen und die ersten Sonnenstrahlen auf eine „Solar-Stage“ strahlten, die vom Burning-Man-Designer Gregg Fleishman gestaltet wurde.
Werbung macht das Festival explizit auch mit seiner angeblich vorbildlichen Ökobilanz. Dafür pflanzte es im letzten Jahr den ökologischen Fußabdruck des Festivals ausgerechnet in Form von Mangrovenbäumen in Myanmar an. Aber – es tut tatsächlich etwas: Getränke wurden in biologisch abbaubare Zuckerrohrpapp- und Metallbecher gefüllt. Die NGO „A Greener Festival“ wurde eigens verpflichtet, mit den Veranstaltern ein Umweltschutzkonzept zu entwickeln. „Viele denken, Nachhaltigkeit bedeutet ein Leben als verdaddelter Hippie. Aber es ist noch viel glamouröser, wenn ein Businessplan dahintersteht“, sagt Pranitan Phornprapha, der diesen Lebensstil nach außen verkörpert.
Kaew, 27, kam extra aus Bangkok angereist. „Ich habe viele Bekannte aus ganz Thailand auf dem Festival gesehen“, sagt er. Was nicht verwundert, denn das Hippie-Image mit Yoga, Meditation und Seifen-Workshops ist ein Magnet. „Wonderfruit“ ist eine perfekt inszenierte Social-Media-Fototapete. Doch er komme, um im Grünen zu feiern und gute DJs zu hören. Viele seiner Freunde könnten sich das nicht leisten. Für sein Ticket arbeitete er an einem Festivalstand mit. „Der Eintritt hätte mich sonst einen halben Monatslohn gekostet.“
Für Thais aus der Mittel- bis Oberschicht ist der hohe Eintrittspreis (umgerechnet rund 170 Euro) kein Hindernis. 2017 machten sie knapp die Hälfte der Besucher aus. „Der Unterschied zu anderen Festivals ist, dass alle Altersgruppen vertreten sind, es läuft daher nicht nur Technosound“, sagt Goy. Mit jedem Jahr wird es internationaler, größer und teurer. Sie möchte dennoch wiederkommen. Und irgendwann ist der Ruf von Pattaya nicht mehr gleichbedeutend mit Sextourismus.
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