: Mit oder ohne Obi?
Bei Japan Records in Weißensee und Mion Records in Alt-Treptow finden Sammler begehrte Schallplatten aus Japan
Von Andreas Hartmann
Diejenigen, denen Andre Schneider seinen Laden, seine berufliche Existenz zu verdanken hat, hängen als Poster mehrfach an der Wand seines Plattengeschäfts in Weißensee: Depeche Mode. Er war großer Fan der Band vor ungefähr 20 Jahren, berichtet er. Seine Sammlung an Platten der englischen Synthiepopper war bereits gigantisch groß. Was ihm jedoch noch fehlte, das waren die so begehrten wie teuren Japanpressungen. „Die kosteten so um die 90 Mark, und ich dachte mir, in Japan gibt es die bestimmt billiger.“
Also ist Schneider kurzerhand nach Tokio geflogen, hat sich dort seine Depeche-Mode-Platten gekauft und, wo er schon einmal da war, gleich noch ein paar Vinyls mehr. Mit einem Stoß Japanpressungen habe er sich dann auf der nächsten Plattenbörse in Berlin als Plattenverkäufer versucht, und es sei überraschend gut gelaufen – „nach einer Stunde waren alle weg“.
Eine Geschäftsidee war geboren: Platten aus Japan nach Deutschland importieren. Andre Schneider verkaufte seine Depeche-Mode-Sammlung, um mit dem Startkapital 2004 seinen Laden, Japan Records, zu eröffnen. Der ist seitdem Europas führender Laden für Japanimporte, wie er sagt. Seine Kunden kämen von überall her, aus den USA, Brasilien, Frankreich, Italien. In Berlin habe er sich eine Stammkundschaft aufgebaut, die regelmäßig im Laden vorbeischaue. Aber das größte Geschäft mache er doch mit seinem Onlinevertrieb.
Eine Mitarbeiterin hat er, eine Japanerin. Ohne sie wäre er aufgeschmissen, sagt er. Die Korrespondenz mit Japan müsse sie übernehmen, da er selber kein Japanisch könne. Sein Job ist vor allem die Tätigkeit, mit der er auch gerade beschäftigt ist, als man ihn in seinem Laden besucht. Im japanischen Ebay mitbieten, Auktionen verfolgen, einkaufen. Die von Weißensee aus in Japan erworbene Ware landet in einem Lager in Tokio und wird alle drei Monate per Schiffscontainer nach Deutschland verfrachtet.
Als Andre Schneider mit seinem Importgeschäft begonnen hatte, gab es noch keinen Vinylhype in Europa. Jetzt wollen viele wieder alle Schallplatten, und was bei vielen Sammlern eben immer noch besonders hoch im Kurs steht, sind Japanpressungen. „Zumindest auf guten Stereoanlagen hört man schon, dass die besser klingen“, glaubt Andre Schneider.
Aber es ist nicht nur der vermeintlich bessere Klang, der zum Kult der Japanpressungen geführt hat. Manche Platten sind nur in Japan erschienen und sonst nirgendwo auf der Welt. Manche habe alternative Cover. Und es gibt den sogenannten Obi – eine Art Banderole –, der jeder neu gekauften japanischen Platte beiliegt. Bei gebrauchtem Vinyl aus Japan lautet eine Frage deswegen: Ist der Obi dabei oder nicht? Mit oder ohne könne zu extremen Wertschwankungen führen, sagt Schneider. „Es gibt eine Platte der Beatles, die ist mit Obi ein paar Tausend Euro wert. Ohne Obi dagegen gerade mal 60 Euro.“
Auffallend ist, in welchem Zustand die Platten in seinem Laden sind, allesamt gebrauchte Schallplatten. Sie sehen aus wie neu. „Das ist der Vorteil japanischer Platten“, sagt Schneider, „die werden vorbildlich behandelt.“ In manchen Schallplattenläden in Japan fassten Händler ihre guten Stücke nur mit Handschuhen an. Yui Kosaka Lange von Mion Records in Alt-Treptow kann das bestätigen. Er betreibt dort seit zwei Jahren seinen Laden. Wie Andre Schneider hat er sich auf den Schallplattenimport aus Japan spezialisiert. „Die japanische Höflichkeit sieht man auch den Schallplatten aus Japan an“, fällt ihm dazu ein, dass auch bei ihm im Laden die Platten meist in hervorragendem Zustand sind.
Bei ihm, der als Sohn eines Deutschen und einer Japanerin in Yokohama geboren wurde, hat alles mit dem Import von Plattenspielern begonnen. Die japanische Firma Technics hatte die Produktion ihrer berühmten DJ-Plattenspieler der 1210er-Reihe Ende der nuller Jahre eingestellt. Sie wurden in Europa und in den USA dadurch noch mehr zu Kultobjekten und stiegen im Preis. In Japan gab es die Geräte noch vergleichsweise günstig. Also kaufte Yui Kosaka Lange sie dort auf und verschiffte sie palettenweise nach Deutschland. Da der Weg von Plattenspielern zu Platten kein weiter ist, kam der Schallplattenimport bald hinzu.
In Japan selbst schreibe man gebrauchten Gegenständen keine derartige Bedeutung zu, wie das in Europa oder den USA etwa bei den Technics-Plattenspielern der Fall ist, glaubt er. Es gebe nicht viel Platz in den Häusern, außerdem sei vor allem die junge Generation eher auf Neues scharf. Plattenspieler, aber auch Schallplatten, vermeintlich Relikte von gestern, wurden und werden deswegen oft einfach weggeworfen. Auch die Kunden in den vielen Plattenläden Tokios seien inzwischen zum großen Teil chinesische Touristen.
Auch Mion Records ist vor allem online tätig, der Plattenladen in Alt-Treptow läuft eher so nebenher. Zehn Mitarbeiter gibt es hier inzwischen, das Geschäft brummt. Verschickt wird in alle Welt, sagt Yui Kosaka Lange. Manchmal auch zurück nach Japan.
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