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Radikal und friedlich zugleich

Die Ausstellung „Careful Unrest“ im Museum für Fotografie fragt nach der Revolution der Zukunft

Von Ingo Arend

Ein junger Mann in Schwarz, einen Hammer in der Hand, tritt an einen hochkant stehenden Betonquader. Mit einem gezielten Schlag stürzt er ihn um und hämmert so lange manisch darauf ein, bis nur noch Trümmer auf dem Boden liegen. Ohne sich umzublicken zieht er von dannen.

Auf den ersten Blick wirkt „Relotion“, die kurze Videoarbeit des Berliner Künstlers Umat Azad Akkel, in einer kleinen, leider etwas versteckten Ausstellung im Museum für Fotografie wie ein Sinnbild des gängigen Verständnisses von Revolution: Die alte Ordnung wird brutal niedergerissen.

So ähnlich wie diesen Haufen Betonbrocken muss man sich wohl die Katastrophe vorstellen, „die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft“, auf die der Engel der Geschichte offenen Mundes starrt und die wir für Fortschritt halten. Der Philosoph Walter Benjamin meinte sie einst in Paul Klees Zeichnung „Angelus Novus“ zu erblicken.

Zugleich ist Azads starke Arbeit aber auch ein Sinnbild für das ambivalente Verhältnis zur Revolution. Denn den Beton, den der Künstler in seinem Video zerstört, hat er selbst gegossen. Wenn er seiner Arbeit eine Anleitung beilegt, wie man die Mischung aus Beton und Estrich in einem Holzrahmen anlegt und Lesern den Rat gibt, den entstandenen Quader nach 48 Stunden zu zerstören, lädt er gleichsam dazu ein, Figuren revolutionären Handelns zu reenacten. Sind wir Zerstörer, Erschaffer oder beides zugleich?

„Careful Unrest“ – die Schau mit dreizehn Positionen junger Berliner KünstlerInnen, allesamt Studierende an der Universität der Künste, thematisiert mit erfrischend zeitgenössischem, unkonventionellem Blick etwas, das in dem historischen Abfeiern des Revolutionsjahres 1918 in den Berliner Museen vergangenes Jahr reichlich zu kurz kam.

Hinter der von der Designerin und Dozentin Anna Voswinckel kuratierten Ausstellung steht nämlich vor allem die Frage, ob es so etwas wie eine andere Art, eine andere Form der Revolution geben könnte. Eine, die zwar grundlegend ist. Die aber die destruktiven Fehler der vergangenen Revolutionen nicht wiederholt.

Dass nun ausgerechnet der künstlerische Nachwuchs die kohärente Vision einer zukünftigen „Unruhe“ vorlegen würde, war nicht zu erwarten. Er schafft es aber zumindest, eine Ahnung von ihren Umrissen aufschimmern zu lassen.

Die Arbeit „Molekulares Rot“ von David Amberg nimmt die klassische Signalfarbe der Revolution auf. Die ineinanderfließenden Pigmente auf dem Banner im Treppenhaus symbolisieren aber auch das neue Verhältnis von menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren, das den Verheerungen des Anthropozän folgen muss.

Charlotte Eitelbach und Lou Hampel rufen mit ihrer Bodeninstallation aus Gegenständen des Pflegens die „Care Revolution“ aus. Und die Künstlerin, die in Pharaz Azimis Video „Vielen Dank für die Blumen“ eine Pflanze bewässert, steht für die ausstehende feministische Revolution.

Wer die eskalierenden Demonstrationen gegen die autoritäre Herrschaft überall auf der Welt derzeit verfolgt, wird sich an die bezwingende Kombination von Gewalt und Frieden erinnern, der Banksy in seinem Jerusalemer Wandbild „The Flower Thrower“ von 2016 ein Denkmal gesetzt hat. Und zu dem er sich von der Novemberrevolution in Rumänien 1989 inspirieren ließ.

Der Street-Artist und Ai-Weiwei-Schüler Clément alias Itsthevibe hat sich als genau diese Schablone eines Straßenkämpfers mit einem Blumenstrauß in der Hand verkleidet. Vor drei Jahren zog er in diesem Outfit auf die Kreuzberger 1.-Mai-Demonstration. So wünscht sich wahrscheinlich nicht nur Itsthevibe die kommende Unruhe: radikal und friedlich zugleich.

„Careful Unrest“. Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, Berlin. Noch bis zum 13. Januar

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