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Nicht das Ende der Welt

Nicht alle, aber viele Studienabbrecher*innen stehen vor dem Nichts. Damit sie nicht in die Arbeitslosigkeit oder in eine Sinnkrise fallen, gibt es „Shift“: das Hamburger Programm für Studienaussteiger*innen

Von Yasemin Fusco

Studierende haben nach der Bologna-Bildungsreform, die europaweit die Studienbedingungen verschärft hat, viel mehr Zeitdruck als ihre Kommiliton*innen aus früheren Semestern. Ihr Studium so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen, das müssen heute viele; weil entweder nach der Regelstudienzeit das Bafög nicht mehr gezahlt wird oder die Eltern den Geldhahn zudrehen. Normalerweise läuft die Regelstudienzeit in Hochschulen sechs Semester. Bis dahin sollte dann der Bachelor, möglichst mit Bestnoten, geschafft sein.

Ein enormer Druck für junge Studierende, die sich zwar ihren Interessen entsprechend in einer Hochschule immatrikuliert haben, vorher aber nicht genau wissen konnten, ob das ausgewählte Studienfach ihnen auch wirklich zusagt. Manche Studierende versuchen dann auf Gedeih und Verderb, das Studium zu beenden. Auch, um ihrer eigenen Erwartungshaltung gerecht zu werden. Aber was, wenn der Stoff zum Lernen einfach nicht im Kopf bleiben will oder sich das Leben auf dem Campus nicht mehr aushalten lässt?

In Hamburg bietet „Shift“ ein umfassendes Angebot für Studienaussteiger*innen an, mithilfe eines Netzwerkes: Die Hansestadt hat in Kooperation mit den sechs staatlichen Hochschulen, der Handels- und der Handwerkskammer, der Agentur für Arbeit und dem Unternehmensverband Nord ein Netz für Studienaussteiger*innen gespannt. Das möchte junge Leute davor schützen, in eine Abwärtsspirale zu geraten, und die Angst vor dem Versagen lindern.

Wertvoll für den Arbeitsmarkt

Dass Studienaussteiger*innen alles andere als Versager sind, weiß die Projektleiterin von Shift, Annegret Witt-Barthel: „Studienaussteiger und Studienaussteigerinnen sind in der Regel etwas älter, gefestigter und somit interessant für Hamburger Unternehmen“, versichert sie. Das Narrativ des Versagers sei überdies veraltet und entspreche heute nicht mehr der Realität. „Der zukünftige Arbeitgeber schaut nicht auf das vermeintliche Versagen der Studierenden, sondern auf ihre Qualitäten“, sagt die Projektleiterin.

Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für drei Jahre finanziert. Das Ziel sei es, so Witt-Barthel, Studienaussteiger*innen in eine Berufsausbildung zu bringen. „In Hamburg beendet jeder dritte Studierende das Studium ohne Abschluss“, sagt Annegret Witt-Barthel.

Dass es Problemlagen am Anfang eines jeden Studiums gibt, die dafür sorgen, dass Studierende abbrechen, steht außer Frage. Bei den sogenannten Studienabbruchfördernden Problemlagen unterscheiden Expert*innen zwischen internen Problemlagen und externen Problemlagen. Konkret heißt das, wenn Studierende sich nicht aktiv in den Universitätsalltag integriert haben, erwägen sie häufiger einen Studienabbruch als jemand, der oder die sich von Beginn des Studiums an an der Universität eingelebt und mit ihren organisatorischen Herausforderungen abgefunden hat. Die Studienberatung der Universität könnte in diesem Fall eingreifen und mit dem Studierenden ein individuelles Zeitmanagement erarbeiten.

Eine Angelegenheit, die sich schnell lösen lässt und dafür sorgt, dass der Studierende einem Abbruch im Vorwege entgegenwirken kann. Ungünstige Studienbedingungen wiegen da deutlich schwerer: Ist eine Studentin oder ein Student aus finanziellen Nöten gezwungen, das Studium abzubrechen, könnte ein Besuch beim Studentenwerk sinnvoll sein, um über Finanzierungsmöglichkeiten zu sprechen.

Wenn aber auch die Finanzierungshilfe ins Leere läuft, steht der Studienabbruch kurz bevor, und die Studierenden müssen sich – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben – fragen, was einmal aus ihnen werden soll. Die Nachfrage von Unternehmen nach guten und motivierten Auszubildenden, mit einem hohen Interesse an solchen Studienaussteiger*innen ist sehr hoch. „Von dem Gedanken, dass man als Abbrecherin oder Abbrecher nicht attraktiv für Unternehmen ist, sollten sich die Studierenden verabschieden“, sagt Annegret Witt-Barthel. Es gebe genügend freie Ausbildungsplätze in der Stadt.

Die akademische Leistung der Studienaussteiger*innen spiele dabei keine große Rolle, glaubt Witt-Barthel. Allerdings könnten zuvor belegte artverwandte Studienfächer dazu beitragen, in einem Unternehmen besonders gern gesehen zu sein. Wenn ein*e Studierende*r beispielsweise im technischen Studium die Theorie behandelt hat, kann er oder sie diese im Laufe der Ausbildung in den Berufsschulen leichter umsetzen und sich so einen Vorteil verschaffen gegenüber anderen Auszubildenden.

Die Hamburger Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung hat Gründe für einen Studienabbruch ermittelt und ist zum Ergebnis gekommen, dass in den Jahren 2016 und 2017 etwa 40 Prozent der Hochschulabgänger*innen in den staatlichen Hochschulen nach bestandener Prüfung ihr Studium beenden. Genauso viele brachen ihr Studium aus anderen, unterschiedlichen Gründen ab – oder wurden wegen fehlender Rückmeldung oder Krankenversicherung exmatrikuliert. Die meisten der Abbrecher*innen, 57 Prozent, gaben als Grund für den Abbruch berufliche Neuorientierung an – das ist die Zielgruppe von Shift.

Es gibt auch Einzelschicksale und Aussteiger*innen, die eine individuelle und intensive Beratung benötigen. Thomas Vielhauer vom Team Akademische Berufe bei der Arbeitsagentur in Hamburg, das mit Shift zusammenarbeitet, kennt diese harten Fälle sehr gut. Eine Simulation eines hoffnungslosen Falles führt vor Augen, wie kleinteilig und Individuell diese Beratung vonstatten geht: Ein Student, Mitte zwanzig, musste sein Sozialökonomie Studium nach fünf Semestern in der Universität Hamburg abbrechen, weil er psychisch erkrankte. Er hat kein Abitur und ist seit zwei Jahren arbeitslos, hat aber nach der Realschule eine Kaufmännische Ausbildung gemacht und abgeschlossen. Wie kann er von Shift und seinen Netzwerk-Partnern aufgefangen werden, um eine dauerhafte Arbeitslosigkeit zu verhindern?

„Diese Fälle gibt es gar nicht so selten, wie man meinen möchte. Auch dies ist – mit einigem Aufwand – machbar“, sagt Vielhauer. Es gehe einfach darum, gemeinsam Alternativen zu entwickeln. Gerade bei psychischen Auffälligkeiten müsste vorab durch eine*n externe*n Psycholog*in geklärt werden, welche Erkrankung vorliegt. Nur ausgebildete Psycholog*innen können solche Auffälligkeiten sicher erkennen – Sachbearbeiter*innen von der Agentur für Arbeit werden aber für Vorgespräche geschult, um Kund*innen mit etwas mehr Fingerspitzengefühl auf solche sensiblen Themen ansprechen zu können.

Thema psychische Gesundheit

Gehen Sachbearbeiterin oder Sachbearbeiter davon aus, dass diese*r Kund*in offen und ehrlich über seine Erkrankungen spricht, versuchen sie durch den berufspsychologischen Service der Arbeitsagentur die Schwere der psychischen Erkrankung genau zu ermitteln: Unter Umständen kann sich die erkrankte Person einen Behindertenausweis ausstellen lassen, der dann bei Bewerbungen positiv berücksichtigt wird. „Wir sind dazu verpflichtet, die Eignung des Kunden oder der Kundin zu ermitteln. Das ist der Auftrag der Hamburger Unternehmen an uns“, sagt Vielhauer.

Ein psychologisches Gutachten ermittelt individuell die Qualifikationen, Interessen und Wünsche der Kundin oder des Kunden. Hat der psychologische Dienst eine Einschränkung der Arbeitsfähigkeit diagnostiziert, geht es weiter zur Fachberatung der Rehabilitation. Diese Fachberater begleiten dann die Studienaussteiger*innen mit berufsvorbereitenden Maßnahmen und auch, bei erfolgreicher Vermittlung, durch die gesamte Ausbildung.

„Die psychische Komponente nimmt sehr zu in dieser Zeit“, erklärt Vielhauer. „Es gibt gewisse Schwächen, die man aber auch schnell durch intensive Beratung beheben kann. Die Botschaft von Shift und den kooperierenden Institutionen ist ja, dass Aussteiger oder Aussteigerinnen keine Versager sind, sondern aus mannigfaltigen Gründen das Studium abbrechen mussten.“

Nicht wenige von ihnen seien die ersten Studierenden aus ihrer Familie oder Studierende mit Migrationshintergrund, die das Studium für die weitere Zukunft für unverzichtbar halten, sagt Vielhauer: „Dass solche Studierenden mit der Zeit in der Universität immer schlechter klar kommen, liegt da doch auf der Hand.“

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