: Mit Hut und Geige
Über 90 Jahre alt ist die Geigenvirtuosin Ida Haendel. Die Bremer Filmemacherin Christine Jezior hat ihr mit „The Haendel Variations“ ein liebevolles Porträt gewidmet. Das zeigt eine Künstlerin nach dem Ende ihrer Karriere
Von Wilfried Hippen
„The Haendel Variations“ wurde von einer polnischen Regisseurin mit einem überwiegend polnischen Team gedreht. Die Protagonistin ist eine polnisch-britische Violinistin und abgesehen von ein paar Sätzen in Deutsch wird nur Polnisch und Englisch gesprochen. Dennoch ist es ein deutscher Film – wie kommt das? Die Regisseurin Christine Jezior lebt seit 33 Jahren in Bremen, und obwohl im polnischen Fernsehen einige ihrer Künstlerdokumentationen mit großem Erfolg liefen, hat sie für diesen Film nur vom Bremer Filmbüro (aus Mitteln der Mediengesellschaft Nordmedia) Geld bekommen – und zwar ganze 2.000 Euro.
Zwischen 2009 und 2017 ist sie sechsmal nach Florida gereist, wo die Geigerin Ida Haendel seit vielen Jahren lebt – da ist eine Fördersumme von 2.000 Euro ein Witz. „Traurig“, findet Jezior es, dass sie im Grunde den Film selbst finanzieren musste. Aber sie wollte ihn unbedingt unabhängig von einer Fernsehredaktion oder einem Produzenten drehen, denn sie wollte allein entscheiden, welche Bilder sie von dieser alten Dame zeigt.
„The Haendel Variations“ ist kein konventionelles Porträt eines Weltstars der Klassik geworden, wie vielleicht Arte es produziert hätte. All die sonst so wichtigen Lebenskapitel werden hier nur kurz angesprochen: Dass Ida Haendel als Jüdin mit ihrer Familie in den späten 1930er Jahren nach England auswanderte und so dem Holocaust entkam, wird beiläufig in zwei Sätzen erwähnt.
Und über ihre großen Erfolge, wie die Einspielung des Violin-Konzerts von Jean Sibelius (der ihr schrieb, er gratuliere vor allem sich selbst dazu, dass es solch eine Interpretin für sein Werk gäbe), wird kein Wort verloren. Stattdessen zeigt der Film, wie eine Künstlerin lebt, wenn es vorbei ist mit den Konzerttourneen und Studioaufnahmen.
Als 90-Jährige ist sie immer noch ein Energiebündel, das sich natürlich auch vor der Kamera selber inszeniert, wenn sie etwa eine ganze Reihe von Hüten aufsetzte, bevor sie einen für gut genug hält, um mit ihm aus dem Haus zu gehen. Aber manche Menschen offenbaren sich gerade dann am meisten, wenn sie den anderen etwas vorspielen.
Im Verlauf des Films kommt man Haendel sehr nah, etwa wenn sie immer wieder in ihrem Wohnzimmer etwas auf ihrer Geige vorspielt. Dass diese Geige eine Stradivari und Millionen wert ist, wird auch nicht als erwähnenswert erachtet. Aber dass ihr kleines Hündchen (wie all ihre Hündchen davor) Decca heißt, weil sie für das Klassik-Label Decca ihre ersten Plattenaufnahmen machte, ist eines von den Details, die sie im Film so lebendig werden lassen.
Es ging Jezoir nicht darum, in den acht Jahren der Dreharbeiten eine Entwicklung im Stil einer Langzeitbeobachtung darzustellen. Abgesehen von den letzten Bildern verändert sich Haendel auch erstaunlich wenig. Wann genau sie in Hannover einer jungen asiatischen Geigerin auf der Bühne und vor Publikum Tipps gibt, wie sie ihr Spiel verbessern kann, erfährt man nicht. Aber viel wichtiger ist ja, dass diese Feinarbeit am Geigenspiel gezeigt wird. Und die Souveränität, mit der Haendel diese Lektionen noch geben kann.
Jezior scheut sich nicht, einen groben Stilbruch zu begehen, wenn sie dadurch noch mehr von Haendel erzählen kann: Einmal findet diese in ihrer Wohnung eine CD und ein altes Foto von David Garrett, den sie als kleinen, schüchternen Jungen unterrichtet hat. Und dann wird ein einziges Mal im ganzen Film von Haendel zu einem Interview mit dem Stargeiger geschnitten, der erzählt, wie mütterlich Ida Haendel sich damals um ihn gekümmert hat und wie wichtig für ihn die Lehrstunden bei ihr waren.
Im Film sehen wir Haendel nicht bei einem ihrer letzten großen Auftritte (für eine Reise nach London oder Aufnahmen von ihrem Konzert für Papst Benedict XVI. in Auschwitz-Birkenau war kein Geld da), stattdessen zeigt der Film sie bei einer Weihnachtsfeier für Rentner in Florida. Da ist kein Glamour, und kaum einer von ihren Zuhörern hat zuvor von ihr gehört. Aber wenn sie dann anfängt zu spielen, kann man spüren, wie wichtig es für sie ist, von jemandem gehört zu werden und wie gerne sie Musik macht – egal, wo und vor welchem Publikum.
Um solche Momente einfangen zu können, muss man eine guter Filmemacherin sein und die klassische Musik lieben. Christine Jezior kam erst spät in ihrem Leben über die Musik zum Film. 1983 emigrierte sie mit ihrem Mann und einem einjährigen Sohn aus dem kommunistischen Polen in den Westen. Eigentlich wollte sie zu Verwandten nach Chicago, blieb dann aber in Bremen hängen. Dort gründete sie eine Konzertagentur und wurde die Managerin der polnischen Violinistin Wanda Wilkomirska.
Über diese wollte das polnische Fernsehen eine Dokumentation drehen, aber Jezior war unzufrieden mit dem Drehbuch und so schlug sie dem Redakteur des Senders vor, das Porträt selber zu drehen.
Zu ihrer Überraschung bekam sie den Auftrag schließlich und der Film wurde im Jahr 2008 ein großer Publikumserfolg. Von da an drehte Jezior in Polen weitere Musikdokumentationen, eine davon über Ida Haendel. Danach wollte sie unbedingt noch mehr von ihr erzählen, und so kam es zu „The Haendel Variations“.
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