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Dead Man Talking

In Bremerhaven inszeniert Niklas Ritter Bogosians „Talk Radio“ als präzises Porträt eines egomanischen Radiomoderators. Die Geschichte basiert auf einem realen Neonazi-Mord

Von Frank Schümann

Ein kurzer Satz: „Dann stirb, Du Arsch!“ Was offenbar passieren muss, geschieht in Bremerhaven schon ganz am Anfang. Radiomoderator Barry Champlain, der in den folgenden gut 80 Minuten auf der Bühne des Kleinen Hauses seine Call-in-Anrufer nach Belieben beschimpfen, beleidigen und aus der Leitung werfen darf, stirbt. Von einem harmlos anmutenden Mann zunächst um ein Autogramm gebeten, sieht er kurz darauf die Pistole auf sich gerichtet; hier weiß der Betrachter noch nicht, warum, ahnt es aber bereits.

Denn Barry Champlain war kein angenehmer Zeitgenosse – eher das Gegenteil davon. Ein Agent Provokateur, einer, der die Moral, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben scheint, der die Lebensgeschichten und Probleme anderer nur scheinbar hören will, sie aber viel lieber wegfegt, weil sie ihm langweilig, doppelmoralisch oder einfach nur überflüssig erscheinen. Und der damit zum Radio-Star avanciert ist.

Aber er ist eben auch einer – und hier wird der Stoff spannend – der die Wahrheit sagt, der ausspricht, was andere nur denken: ungeschminkt, subjektiv und brutal. „Nichts ist langweiliger als die Leute, die dich lieben“, sagt Champlain und die Leute lieben ihn trotzdem – die meisten zumindest. Deshalb steht bei der Inszenierung dieses Stoffes immer auch diese Frage im Raum: Wie weit darf man gehen?

Der US-Autor und Schaupieler Eric Bogosian schrieb und veröffentlichte sein Stück „Talk Radio“ 1987, zu einer Zeit also, in der die Radiosender gerade die Form des konfrontativen Umgangs mit ihren Hörern entdeckten und ausreizten. Einen realen Hintergrund gibt es auch: Der Radiojournalist Alan Berg wurde einige Jahre zuvor von Rechtsextremen ermordet. Bogosians Quasi-Ein-Personen-Stück mit Stichwortgebern (die Anrufer plus Nebenrollen) entwickelte sich schnell zu einem kleinen Off-Broadway-Hit, Bogosian selbst überzeugte Publikum und Kritik in der Hauptrolle. 1989 nahm sich auch Filmregisseur Oliver Stone des Stoffes an und besetzte die Hauptrolle wiederum mit Bogosian, der dafür (und für seine Drehbuch-Koautorenschaft) einen Silbernen Bären auf der Berlinale gewann. „Ich will, dass mein Theater ein Ereignis ist“, hat Bogosian einmal gesagt: „Ich will Grenzen überschreiten, die Hand beißen, die mich füttert, Köpfe zusammenschlagen.“

Ganz so radikal ist die Bremerhavener Aufführung nicht. Immerhin: das Raumkonzept (Bühne: Norman Plathe-Narr) greift. John Wesley Zielmann sitzt als Champlain im kargen, dunklen Bühnenraum zu großen Teilen zentral auf seinem Stuhl und bedient lustvoll den gelben Buzzer, mit dem er seine Anrufer in Scharen aus der Sendung kickt. Regisseur Niklas Ritter setzt aber nicht nur auf die Hauptfigur, sondern zeigt den Stoff als Ensemblestück – so agieren die Darsteller der Nebenrollen zugleich auch als Anrufer. Das tut der Inszenierung gut und nimmt etwas Druck vom Hauptdarsteller. Dieser löst seine Aufgabe gut: Mal stoisch, mal lustvoll ist Zielmann ganz der egomanische Moderator; immer wenn es zur Interaktion mit seinen Kollegen und der Kollegin aus dem Radiosender kommt, springt er auf, gibt seiner Figur damit eine andere Dynamik.

Die übrigen Darsteller haben es entsprechend schwer, sich mit ihren Rollen zu entfalten; am Besten gelingt dies Jakob Tögel in der Rolle des durchgeknallten Teenagers Kent, der von Champlain gegen die Proteste seiner Kollegen ins Studio eingeladen wird, aber auch Kay Krause als Radioproduzent, Juliane Schwabe als Redaktionsassistentin und Freundin von Champlain sowie Marc Vinzing als Kollege machen ihre Sache ordentlich.

Es ist ein großes Verdienst der Bremerhavener Theaterleitung, dieses Stück auf den Spielplan gesetzt zu haben. Jahrelang hat sich in Deutschland kaum jemand an diesen Stoff getraut, wohl auch, weil dieser sehr deutlich in den USA der 80er-Jahre verortet ist. „Talk Radio“ ist ein wichtiges Stück über den menschlichen Umgang miteinander, über die Notwendigkeit, aber auch die Grenzen der Kommunikation – gerade in Zeiten, in denen via Facebook gehetzt oder beleidigt wird, auf eine Art, wie es damals öffentlich höchstens im Radio möglich war.

Allerdings hat die Inszenierung auch Schwächen. Die größte liegt in der Vermischung von Vergangenheit und Gegenwart, von amerikanischer und zugleich deutscher Verortung. Die Figuren heißen Barry, Dan oder Stu, sprechen aber vom Ende der Lindenstraße und der deutschen Nationalmannschaft. Die Aktualisierung des Stoffes ist nachvollziehbar, nimmt dem Abend aber auch einiges an Authentizität, zumal „neue“ Themen (Stichworte: Breivik oder Erdoğan) scheinbar gleichberechtigt neben „alten“ stehen, die es in die aktuelle Fassung geschafft haben (was nicht immer ganz stimmig ist).

Sei’s drum. Unter dem Strich ist „Talk Radio“ auch in der Bremerhavener Inszenierung sehenswert. Am Ende stirbt Barry Champlain ein zweites Mal auf der Bühne; der Mörder entpuppt sich als Nazi, der von Champlain in seiner Sendung (wie alle anderen) deutlich in seine Grenzen verwiesen wurde. So endet denn das Leben des großen Zynikers immerhin auf der richtigen Seite.

Wieder: 5., 19. und 24. Januar, 19.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven, Kleines Haus

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