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Archiv-Artikel

„Eine jüdische Minderheit im Staat Palästina“

Israels Regierungschef Scharon wird keine weiteren jüdischen Siedlungen räumen lassen, und das ist auch richtig so, sagt der Autor Abraham B. Jehoschua. Gewalt aus den Palästinensergebieten ist jetzt nicht mehr zu rechtfertigen

taz: Sie waren von Anfang an überzeugt, dass der „Vater der Siedlungen“, Scharon, derjenige sein wird, der sie evakuiert. Was hat Sie so sicher gemacht?

Abraham B. Jehoschua: Das ist ein Prozess, der für rechte Regierungen nicht ungewöhnlich ist. Richard Nixon, Charles de Gaulle, sogar Frederik Willem De Klerk – alles Politiker, die eine rechte Ideologie verfolgten, verstanden die Realitäten, sobald sie an die Regierung kamen. Ariel Scharon war nie ein ideologischer Mensch. Ich glaube zum Beispiel, dass der ehemalige Finanzminister Benjamin Netanjahu von einer starken Ideologie angetrieben wird. Leute, die schon als Kinder in den 50er-Jahren mit der Vorstellung von dem gesamten Eretz-Israel erzogen wurden. Scharon gehört nicht dazu. Er ist ein Führer, er kann Entscheidungen durchsetzen – zum Guten und zum Schlechten, er ist hartnäckig in seiner Zielsetzung und er hat die öffentliche Mehrheit hinter sich.

Heißt das, dass er weitere Siedlungen evakuieren wird?

Nein, er wird sich jetzt politisch nach rechts ausrichten. Ich weiß, dass ich jetzt wieder auf Protest von links stoße, wie damals als alle gegen den einseitigen Abzug waren außer mir, Uri Avnery und Amos Oz. Inzwischen haben alle verstanden, dass es keine Alternative gab. Der einzige Weg zu einer Lösung ist, die Idee einer jüdischen Minderheit innerhalb des Staates Palästina voranzutreiben. Wir müssen uns mit den Palästinensern einigen und den Siedlern diesen Vorschlag unterbreiten: Entweder ihr bleibt unter palästinensischer Kontrolle, oder ihr zieht nach Israel.

Würden die Palästinenser dem zustimmen?

Es wäre für die Palästinenser nur klug, dem zuzustimmen, auch mit Blick auf den Zaun, der gerade auf ihrem Land errichtet wird. Sie bekämen ein Maximum an Land unter der Bedingung, 100.000 Juden aufzunehmen.

Juden mit palästinensischem Pass?

Palästinensisch und israelisch – den israelischen Ausweis dürften sie behalten. Sie würden dem palästinensischen Recht unterstehen, dürften aber für das israelische Parlament, die Knesset, wählen.

„Wenn auf Ashkelon geschossen wird, muss man Gaza den Strom abdrehen“, sagen Sie. Gibt es nach dem Abzug keinen Raum für Kompromisse mehr?

Was wollen die Palästinenser denn noch? Die Armee ist abgezogen, die Siedler sind abgezogen, die Palästinenser haben das Land. Wenn jetzt noch jemand schießt, interessiert mich nicht mehr, wer das ist – Hamas oder nicht Hamas. Der einzige Weg ist, ihnen klar zu machen: Ihr seid jetzt ein Kollektiv. Ihr wollt schießen, okay, dann habt ihr keinen Strom mehr, kein Benzin, nichts. In diesem Moment werden sie die Übergriffe einstellen. Wir würden nichts erreichen, wenn wir wieder unsere Soldaten nach Gaza schicken.

Sie sind schon vor Jahren dafür eingetreten, einen Trennzaun zwischen Israel und den Palästinensergebieten zu errichten. Sind Sie nun zufrieden?

Der Zaun ist zum Teil richtig, im nördlichen Samaria, wo er unmittelbar an der Waffenstillstandslinie entlang verläuft. Überall dort, wo er aufgrund der Siedlungen in das palästinensische Gebiet hineinreicht, ist es ein verbrecherischer, ein schlechter Zaun. Deshalb glaube ich trotzdem, dass eine klare Grenze von enormer Bedeutung ist, auch für die Palästinenser.

Warum sind Grenzen so wichtig?

Sie sind der Rahmen für den Menschen. Er weiß genau, wo er hingehört. Für seine Identität, für seine Verantwortung. Es gibt keinen Staat auf der Welt, der keine klaren Grenzen hat. Warum ist es für religiöse Juden so leicht, an jedem Ort zu leben? Die sind in Thailand oder sonst wo und tragen ihre Identität in den Köpfen.

Die jüdischen Siedler tun das nicht, obwohl sie religiös sind.

Ja, die große Mehrheit der Abzugsgegner ist in erster Linie religiös, nicht nationalistisch oder rechts. Für sie ist die Ansiedlung in Eretz-Israel ein religiöser Akt.

Macht Ihnen dieses Konzept, mit dem jüdisches Gesetz über das staatliche Recht gestellt wird, Angst?

Natürlich, denn das ist ein entscheidender Punkt des jüdischen Volkes. Es verfolgt zwei zentrale Ziele, das religiöse und das nationale. Der Kampf zwischen diesen beiden Strömungen besteht, solange es Juden gibt. Da gibt es die, die sagen: Es gibt kein Israel außer in der Thora. Selbst der frommste Christ würde nie behaupten: Es gibt kein Deutschland außer im Protestantismus. Der Kampf zwischen diesen beiden Strömungen führte die Juden letztendlich in die Diaspora, denn sie fürchteten die Spaltung von innen.

Eine Möglichkeit, die in diesen Tagen wieder an Aktualität gewinnt …

Wir sind in einer Stunde der Prüfung. Vor allem die religiösen Gruppen müssen Bilanz ziehen, dann können wir aus diesem Kampf gestärkt hervorgehen.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL