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Porträts aus Zufall

Lange galt sie nur als Geheimtipp: Die Kestnergesellschaft in Hannover zeigt einen Überblick über das 60-jährige Schaffen der peruanischen Künstlerin Teresa Burga

Von Bettina Maria Brosowsky

Eine Kinderzeichnung gilt nicht als Kunst, selbst wenn Eltern ihren Sprössling für einen zweiten Picasso halten. Was ist dann Kunst? Das weiß vielleicht niemand. Im aufgeklärten Westen haben wir uns darauf verständigt, zumindest eine geistig bewusste und kunstfertige Handlung, ein „Kunstwollen“ hinter jedem Kunstwerk zu erwarten.

Die peruanische Künstlerin Teresa Burga, der die Kestnergesellschaft Hannover derzeit ihre erste, und mit 130 Werken aus 60 Jahren Produktivität wirklich umfassende Einzelausstellung in Deutschland ausrichtet, hat sich in einem späten Werkabschnitt ab 2013 ganz eigenwillig mit Kinderzeichnungen beschäftigt. Sie hat nämlich die über Jahre aus dem Familien- und Freundeskreis angesammelten Werke abgezeichnet, in ähnlicher Technik, also mit Bunt- oder Filzstiften, wie die von den Kindern gefertigten Originale. Beide zeigt sie nun im Rahmen nebeneinander, und spontan gefällt das Kinderbild mitunter besser als das von der Künstlerin gefertigte.

Hintergründige Problemstellungen

Aber um künstlerische oder ästhetische Qualität soll es gar nicht gehen. Sondern um das Aufzeigen des tätigen Werkens – Burga vermerkt akribisch Datum und ihre Beschäftigungsdauer – sowie die Frage der Autorschaft, nicht nur in diesem Transformationsprozess. Wird das Kinderbild durch die wiedergebende Beschäftigung der Künstlerin mit ihm nun auch zu einem Werk?

Derartige hintergründige Problemstellungen ziehen sich durch Leben und Arbeit der 1935 in Iquitos geborenen Burga. Sie studierte ab 1962 in Lima und erhielt 1968 ein zweijähriges Stipendium für das Art Institute of Chicago. Dort begann sie, sich mit konzeptueller und experimenteller Kunst sowie Informations- und Kommunikationstechnologien auseinanderzusetzen. Vorher hatte sie in Peru noch zu einer bunten, südamerikanischen Variante der Pop Art gefunden, ihre „Prismen“ wie übergroße Bauklötze stehen am Beginn des Parcours.

Aber bereits hier hat sie sich schon von einem festgelegten „so muss es sein“ entfernt: Handwerker hatten die Holzelemente nach Burgas Angaben gebaut und bemalt, die Besucher einer Ausstellung sollten mit Kombinationen aufschichten, eine eigene „Stadt“ bauen. Das Konzept der Moderne also, dass der Rezipient aktiver Produzent wird, optimal zudem, wenn vom Zufall geleitet, wird hier spielerisch provoziert.

Nach der Rückkehr in ihr Heimatland, nun beherrscht von einer nationalistischen Militärjunta, arbeitete Teresa Burga lange Jahre beim Zoll, denn an eine freie und den Lebensunterhalt sichernde Kunstpraxis wäre nicht zu denken gewesen. Diese Diskontinuität sowie die periphere Lage Perus förderten ihre Präsenz im internationalen Kunstbetrieb nicht gerade. Teresa Burga galt deshalb lange als Geheimtipp und harrt zwischen ihren Generationskolleginnen wie Martha Rosler oder Hanne Darboven der kunsthistorischen Kanonisierung. Die Kestnergesellschaft stellt sie programmatisch in die lose Folge verkannter weiblicher Positionen, zu Jahresbeginn etwa Christa Dichgans oder 2016 Rochelle Feinstein.

In ihrem Broterwerb allerdings konnte Burga ihre Vorliebe für Daten, Strukturen, mathematische Zusammenhänge perfektionieren. Ihr installatives Selbstporträt „Autoretrato. Esctructura. Informe“ von 1972 besteht folglich aus unterschiedlichsten Dokumenten über sich selbst: Vermessungen des Gesichts und Körpers, Blutwerte, Kardiogramme, weitere medizinische Befunde. Eine Soundspur und synchron pulsierendes rotes Licht geben den eigenen Herzschlag wieder – Mediziner werden angesichts der rasenden Frequenz staunen. Und sie sorgen für eine beklemmende Note in diesem gleichermaßen detailreichen wie entmaterialisierten System, das objektivierende Maßstäbe demonstrativ übererfüllt – aber die Person Teresa Burga verschwinden lässt.

Detail aus Burgas „Autoretrato“ (oben) und unbetitelte Arbeit von 1966 Fotos: Teresa Burga Galerie Barbara Thumm

Der Status quo der Frau

Diese Methode nutzte Burga, um 1980, zusammen mit einer Wissenschaftlerin, den Status quo der peruanischen Frau zu ermitteln. Gut 200 jüngere Frauen wurden äußerlich vermessen, erfasst wurden auch Bildungsstand, politische, religiöse oder sexuelle Orientierung. Die Daten wurden zu assoziativen Objekten und Skulpturen innerhalb der Gesamtinstallation „Perfil de la Mujer Peruana“. Eine Knüpftechnik der Inkas mit bunten Schnüren etwa und ein schwarzweißer Abakus bilden Daten zu Berufen und gesellschaftlichem Status ab, ein Terrakotta-Schnittmodell liefert im wahrsten Sinne des Wortes ein körperliches Profil, nicht individuell sondern der statistischen Mediane.

Dieser Dekonstruktion und anschließenden künstlerischen Metamorphose unterzog Burga etwa auch ein Gedicht Jorge Luis Borges, übertrug phonetische Bedeutungseinheiten in Farbcodes, die ein Komponist vertonte – alles nicht todernst, sondern, den Ausstellungstitel belegend, als kreative Zufallsstrukturen.

Parallel zeigt Nevin Aladağ – sie wurde 1972 in der Türkei geboren und lebt in Berlin – Teile ihres Ausstellungsexperiments, das mit Fotografien, Videos und Teppichcollagen soziale und städtische Wirklichkeiten erfasst. Auch hier sind es viele Akteure, deren Füßen etwa ein banales Stück Münchener Straßenpflaster höchst unterschiedliche Rhythmen und Klänge zu entlocken vermochte.

„Teresa Burga. Aleatory Structures“ + „Nevin Aladağ. Social Fabric“, beide bis 3. Februar, Hannover, Kestnergesellschaft

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