: „Manche können nicht gut mit Menschen umgehen“
Die Anästhesistin Pauline Wildenauer war schon an der Uni politisch aktiv. Wie würde sie sich von einem neuen Medizinstudiengang wünschen?
Protokoll Jean-Philipp Baeck
Zu Beginn meines Studiums begrüßte uns ein Professor mit den Worten: Wir seien als Mediziner die Elite des Landes und sollten uns entsprechend benehmen. Das fand ich schon damals sehr fragwürdig. Eine gute medizinische Versorgung kann doch nur funktionieren, wenn alle zusammenarbeiten – Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, Ergo- und PhysiotherapeutInnen. Das muss sich auch in einem modernen Medizinstudium wiederfinden. In meiner Zeit an der Universität Göttingen kam ein Austausch mit VertreterInnen anderer Gesundheitsberufe aber kaum vor.
Elitäres Denken wird auch verstärkt, wenn angehende ÄrztInnen bereits auf der Uni von Versicherungen und Finanzunternehmen umworben werden. Es ist eben ein ziemlich gut honorierter Beruf mit einem hohen gesellschaftlichen Ansehen – und das wird dann auch vor sich her getragen und von entsprechenden Firmen als Werbefläche genutzt.
Ein nicht von Unternehmen beeinflusstes Handeln ist im medizinischen Bereich aber enorm wichtig. Mein Gefühl ist, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Ärzteschaft bröckelt: wegen Organtransplantationsskandalen, der zunehmenden Ökonomisierung der Medizin und zum Beispiel Chefarztverträgen, die honorieren, wenn bestimmte Eingriffe häufig vorgenommen werden. Unter jüngeren MedizinerInnen gibt es allerdings auch viele, die ein anderes Selbstverständnis entwickeln und teamorientierter mit nichtärztlichen Berufsgruppen zusammenarbeiten wollen. Ich halte da eine Akademisierung der anderen Gesundheitsberufe für eine Idee, die in den kommenden Jahren unbedingt weiter diskutiert werden muss.
Die Finanzierung des Gesundheitssystems wurde in meinem Studium nicht ausreichend, geschweige denn kritisch behandelt. Dabei betrifft dieser Aspekt junge ÄrztInnen direkt nach ihrem Berufseinstieg ganz persönlich und meistens relativ unvorbereitet. Ungünstig am Studium war für mich auch die Struktur, in der Vorklinik ein Fach pro Semester zu haben. Integrierte Modelle anderer Fakultäten halte ich da für sinnvoller, wo anhand eines Körperteils oder Organsystems alle Zusammenhänge sowohl biochemisch als auch anatomisch und physiologisch beleuchtet werden.
Besonders gefallen hat mir hingegen das Fach „Geschichte und Ethik der Medizin“. Da wurden Fragen aufgeworfen, die ich mir auch stelle: Welche Rolle kommt mir als Ärztin in der Gesellschaft zu? Muss ich diesen Beruf politisch begreifen? Das Wissen um die Rolle der Medizin insbesondere im Nationalsozialismus ist wichtig, um der eigenen Verantwortung in der Gegenwart gewahr zu werden.
Heute habe ich in meinem Beruf als Ärztin einen besonderen Einblick in sehr vulnerable Situationen von Menschen. Ich verstehe es daher als meine gesellschaftliche Aufgabe, nach außen zu tragen, dass es soziale Umstände gibt, die Krankheiten bedingen. Armut hängt mit Krankheit zusammen, wenn etwa in ärmeren Gegenden eine höhere Lärm- und Feinstaubbelastung herrscht und die Menschen eine geringere Lebenserwartung haben. Hier müsste viel mehr geforscht werden und das müsste auch im Medizinstudium stärker vorkommen.
Zudem sollte nicht mehr hauptsächlich ein gutes Abitur dafür qualifizieren, Medizin studieren zu dürfen. Berufserfahrung in der Pflege oder als NotfallsanitäterIn sollten höher bewertet werden. Die Leute haben oft eine ganz andere Motivation zu studieren, wenn sie aus einem Beruf kommen. Auch einen viel höheren Praxisanteil mit PatientInnenkontakt halte ich für sinnvoll. Manche Menschen können einfach nicht gut mit Menschen umgehen und sollten damit früh im Studium konfrontiert werden.
Insgesamt wünsche ich mir, dass aus der heutigen akademischen Ausbildung mehr ein Studium wird – um dazu zu befähigen, einen umfassenderen Blick auf gesellschaftliche Veränderungen und eine eigene Position dazu zu entwickeln.
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