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Ein Hauch von Improvisation

John Cale konzertierte am Samstagabend in der Verti Music Hall am Ostbahnhof. Und legte einen Auftritt hin,wie man sie häufiger von den Elder Statesmen des Pop erlebt: hochprofessionell, eigenwillig, unspektakulär

John Cale konzentrierte sich auf seinen Gesang, der viele Stücke dominiert Foto: Roland Owsnitzki

Von Jens Uthoff

Bedrohlich, finster und zäh klingen die Streicher, die als Erstes ertönen. Sie verharren lange in einer Tonlage, es entsteht ein Drone mit flirrenden Obertönen. John Cale, in einen schwarzen Overall gehüllt, hat gerade hinter dem Keyboard in der Bühnenmitte Platz genommen, er beginnt sein Set mit einer Hommage an eine große Weggefährtin: Nico. „Frozen warnings close to mine / Close to the frozen borderline“, singt er mit klarer, sonorer Stimme, während auch die Töne der Streicher wie erstarrt, eingefroren klingen. John Cale selbst war es, der „Frozen Warnings“ 1968 gemeinsam mit der dunklen deutschen Pop-Diva für deren Meisterwerk „The Marble Index“ produzierte – so wie Cale es singt, klingt es heute noch genauso unheimlich, unnahbar und kühl wie bei Nico.

Der Beginn des Konzerts in der Verti Music Hall am Ostbahnhof gibt die Richtung vor: Wer ein Hit-Potpourri des einstigen Velvet-Underground-Mitglieds erwartet – Cale wirkte bei den ersten beiden, epochalen Alben der Avantgarde-Pop-Helden mit –, ist fehl am Platze. Die Velvet-Lover müssen sich am Samstagabend gut eineinhalb Stunden lang bis zum letzten Stück gedulden, ehe er den Klassiker „I’m Waiting For The Man“ spielt – dafür gibt es diesen Song mit Bratschen, Geigen und Sousafon, Pomp und einer Prise Polka zu hören. Sechs Streicher und drei Bläser hat der Waliser dabei, daneben eine Band mit ­klassischer Rock-Instrumentierung.

Im Lauf des Abends spielt Cale, 76 Jahre alt, Stücke aus allen Solo-Schaffensphasen – mit Schwerpunkt auf seinem Werk der frühen Siebziger, als er großartige Alben wie „Paris 1919“ (1973)und „Helen Of Troy“ (1975) veröffentlichte. Mit Huldigungen anderer Künstler geht es anfangs nahtlos weiter: nach Nico sind René Magritte und Henrik Ibsen an der Reihe. Während er „Magritte“ (2003) spielt, zeigt die Videoleinwand im Bühnenhintergrund surreale Traumlandschaften. „Often we saw Magritte / Pinned to the edges of vision“, singt Cale dazu. Die meiste Zeit sitzt er – ohne große Gestik und Mimik – hinter seinem Keyboard und konzentriert sich auf seinen Gesang, der viele Stücke dominiert. So zum Beispiel „Hedda Gabler“ (1979), das er im Anschluss spielt und das sich auf Ibsens Drama bezieht.

Viele der folgenden Stücke klingen grundsolide, zuweilen erhaben gesungen – so richtig springt der Funken trotzdem nicht über. Toll wird es immer dann, wenn Cale die Songs variiert, wenn ein Hauch Improvisation aufzukommen scheint. Die Langversion von „Half Past France“ (1973), Cales Song über einen heimkehrenden Soldaten nach Ende des Ersten Weltkriegs, ist ein solcher Überraschungsmoment. Da singt er mit viel Hall auf der Stimme, man hört verfremdete Glockenspiel- und Windspiel-Geräusche, und der Bassist streicht mit dem Geigenbogen über die Saiten seines E-Basses. Da merkt man, wo John Cale seine Wurzeln hat – er studierte in den Sechzigern zunächst an Konservatorien in London und in Massachusetts (wo man seinen Ansatz angeblich zu „extrem“ fand), er widmete sich dem Minimalismus, traf auf Künstler wie La Monte Young, John Cage und Nam June Paik.

„Helen Of Troy“ (1975) ist das zweite große Highlight – Cale spielt es in einer 10-Minuten-Version, in der die Bläser Soli einstreuen, es Call-Response-Elemente gibt und nicht alles hundertprozentig durchkomponiert scheint. Das anschließende „Wasteland“ (2005) mit seinem Industrial-Anstrich und Distortion-Effekt auf der Gitarre sorgt für einen weiteren Bruch. Nun könnte das Konzert eigentlich noch mal Fahrt aufnehmen – aber Cale läutet mit „I’m Waiting For The Man“ (1967) schon das Finale ein. Immerhin darf man noch diese oberlässigen Zeilen mitsummen, zu denen man sich eigentlich auf der Stelle eine Zigarette anzünden und die Sonnenbrille aufsetzen sollte: „I’m feeling good, I feel so fine / Until tomorrow, but that’s just some other time“.

Eine Zugabe folgt noch, dann ist Feierabend. Cale verlässt leicht wacklig und humpelnd – Folgen eines Hüftschadens – die Bühne. Es ist ein Auftritt, wie man sie häufiger von den Elder Statesmen des Pop erlebt: hochprofessionell, eigenwillig, unspektakulär. Die meisten der 1.200 Besucher wirken dennoch oder gerade deshalb zufrieden. Ein gemischtes Publikum ist gekommen, viele ergraute Altrocker, aber auch viele, die Cales Enkel sein könnten.

Die Verti Music Hall, im Oktober eröffnet, scheint dabei ein durchaus guter Ort für Konzerte zu sein. Die Halle ist schlicht, funktional, ganz in Schwarz, mit gutem Klang. Wie angenehm es drinnen ist, wird einem beim Verlassen der Venue klar. Denn während man draußen über den unsäglichen, ebenfalls neu errichteten Mercedes-Platz schreitet, der im Hässlichkeits-Contest wohl dem Potsdamer Platz den Rang ablaufen will (was dann doch schwer ist), will man am liebsten sofort zurück in den dunklen Konzertsaal, zurück zu den schaurig-schönen Klängen.

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