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Archiv-Artikel

Im Wedding ist die Welt noch in Ordnung

Doch, Hilfe, die Prenzelwichser warten schon: Das Prime Time Theater führt seit eineinhalb Jahren die Soap Opera „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ auf. Mittendrin findet sich man hier im Clash der Kiez-Zivilisationen wieder

Freunde des Wahren, Guten und Authentischen werden in letzter Zeit verstärkt im Wedding gesichtet. Dort kann man nicht nur echte Arbeitslose und die letzten unsanierten Fassaden bestaunen. Hier tragen auch die Türken ihre Hosen noch zünftig in die Adidasstrümpfe gestopft und pflegen immer öfter Verkehr mit bauchfreien einheimischen Proletarierinnen – Beziehungen, denen dann manchmal auch transnationale Ergebnisse wie die kleine Hülia-Lisa entspringen. Sie ist die neugeborene Tochter von Nicol und Murat, der ansonsten bei seinem Onkel Ahmed im Döner-Imbiss jobbt, welcher wiederum die sächselnde Arbeitsagenturbeamtin Heidemarie Schinkel liebt.

Baby Hülia-Lisa gehört samt Eltern und Dönerbesitzer Ahmed zu einer Hand voll multikulturellen Personals, mit dem das Weddinger Prime Time Theater seit Januar 2004 den Clash der Kiez-Zivilisationen als Sitcom probt, komisch, intelligent und authentisch. Grundannahme: Im Wedding ist die Welt noch in Ordnung. Hier wird über Multikulturalität nicht nur geredet, hier wird sie gelebt. Doch die Idylle ist bedroht: Denn, Hilfe!, die Prenzelwichser sind im Anmarsch, um das wilde Weddinger Leben in blöde Kunstprojekte zu überführen.

Und damit sind wir auch schon mittendrin in Folge 29 der Theater-Soap „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“, die seit anderthalb Jahren im Prime Time Theater an der Osloer Straße läuft, und zwar in vierzehntägigem Wechsel zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr. Wie es sich gehört, gibt es einen festen Kern von Figuren, deren Leben und Lieben man Folge für Folge miterleben kann. Nicol und Murat eben; oder die Schreckschraube Heidemarie, deren erotische Anziehungskraft sich nicht allein auf den wackeren Imbissbesitzer, sondern auch auf den Urweddinger Postboten Kalle auswirkt. Im Übrigen sind da noch Murats schwergewichtige Mutter Hülia und ihr unterdrückter Mann Erkan, der sich vor Hülias Dezibelübermacht in die Arme einer zarten polnischen Putzfrau geflüchtet hat. Ferner gibt es den griechischen Psychologen Dr. Philantoplulos, der vom Ödipuskomplex junger Türken mindestens so viel versteht wie von den Vorzügen deutscher Frauen.

Treibende Kräfte der Theatersitcom sind Constanze Behrends und Alex Ther. Behrends schreibt nicht nur die präzise beobachteten und dann in krachendes Comedy-Format vergröberten Folgen, sondern ist auch in wechselnden tragenden Rollen, unter anderen als Heidemarie oder Nicol zu sehen. Alex Ther kann hinreißend die Nöte verhärmter türkischer Familienväter verkörpern, denen zwischen den Anpassungsanforderungen der deutschen Gesellschaft draußen und ihren den familiären Lebensraum beherrschenden Frauen drinnen gelegentlich die Luft ausgeht. Dann ist da noch Oliver Tautorat, Regisseur und schauspielerisches Multitalent, der fast alle anderen Rollen spielt. Nach zwei Folgen ist man süchtig, womit man nicht alleine ist: Das knapp 70 Zuschauer fassende Zimmertheater ist fast immer ausverkauft.

Doch zurück zu Folge 29. Über die „böse Brücke“ sind also Claudio und Antilope in den Wedding eingedrungen. Das doof schwadronierende Künstlerpaar sucht vier echte Hartz-IV-Empfänger, die es für eine Performance nackt vor den Reichstag stellen will. Standesgemäß trägt Prenzlwichser Claudio ein Volksbühnen-T-Shirt, und man möchte den Kollegen vom Rosa-Luxemburg-Platz raten, nicht zu unterschätzen, dass jemand mit ihrem Logo auf der Brust hier in einer Sitcom als Witzfigur fungiert. „Geil, du trinkst deinen Latte und machst Kunst!“

Auch sonst wird der Volksbühnenstil freundlich, aber bestimmt auf die Schippe genommen. Der Dialog zwischen dem Weddinger Hartz-IV-Empfänger (Alex Ther) und dem Prenzlwichserpaar gehört zum Komischsten, was seit langem auf Berliner Bühnen zu sehen war. Natürlich scheitert in Folge 29 die Proletariersuche an Kommunikationsproblemen. So kann es kommen, im Clash der Kiez-Zivilisationen. Man muss also auf Folge 30 warten, die sicher wieder dem Motto des Soap-Trailers „Mitte is Schitte. Prenzlberg ist Petting. Real Sex is only Wedding!“ gerecht wird. ESTHER SLEVOGT

Folge 30: „Mein Türke, meine Schwiegermutter und ich“, 26., 27., 29., 30. August, 20.15 Uhr, im Prime Time Theater, Osloer Str. 16