: Mehr Leben, weniger Stiefmütterchen
LANDLEBEN Am heutigen Freitag werden die Sieger im Landeswettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ gekürt. 19 Orte schafften es in die Endrunde – Sandhatten nahe Oldenburg ist eines davon
Fährt man vom Norden her in das 900-Seelen-Dorf Sandhatten hinein, wirkt es so, als hätte jedes Haus seinen eigenen kleinen Wald. Sandhatten ist ein Ort der großen Grundstücke, keines ist kleiner als 1.000 Quadratmeter, manche messen zwei Hektar. Zwischen ihnen liegen hier und da größere Freiflächen. Das soll auch so bleiben, sagt Gottfried Hennes, man lege keinen Wert darauf, alles mit Reihenhäusern zuzubauen. Hennes ist Schafzüchter und Sprecher des Orts- und Bürgervereins. Er soll die Wettbewerbskommission durch das Dorf fahren und sich ihren Fragen stellen, die sie in einem mehrseitigen Katalog formuliert hat.
Bei dem Wettbewerb geht es um infrastrukturelle, soziale oder kulturelle Aspekte, aber auch um die „Grüngestaltung“. Dies mag ein Überbleibsel aus der Zeit sein, als er noch „Unser Dorf soll schöner werden“ hieß – „Blümchen, noch mehr Blümchen, Misthaufen weg“; darum sei es seinerzeit im Wesentlichen gegangen, sagt Hennes.
Heute liegt der Schwerpunkt auf Zukunftsperspektiven und bürgerschaftlichem Engagement, und da kann Sandhatten durchaus punkten. Es gehe in dem Wettbewerb ja nicht mehr um Stiefmütterchen“, sondern darum, „dass es im Ort richtiges Leben gibt, kein Museumsleben“, sagt Hennes.
Um zu zeigen, dass das wirklich so ist, tritt er vor die Tür seines alten Landhauses. „Nehmen wir den Trecker“, Hennes steigt in einen Geländewagen und fährt los. Da, in der Ortsmitte: ein funkelnagelneuer Spielplatz. Die Dörfler haben ihn selbst angelegt, die Geräte mit Geldspenden und Kuchenverkauf finanziert; nur die groben Vorarbeiten wurden vom Bauhof übernommen.
Ein halbes Dutzend Künstler und Kunsthandwerker lebt im Ort, alle haben Werke für einen kleinen Kunstpfad gespendet, der sich durch Sandhatten zieht – gleichfalls angelegt von den Einwohnern, ebenso der Dorfplatz. Die örtlichen Vereine haben ein Drittel mehr Mitglieder, als Menschen in Sandhatten leben; wenn es etwas zu organisieren gibt, ist jeder mal dran.
Nicht jedes Örtchen dieser Größe hat eine eigene Website – Sandhatten schon, betreut vom Orts- und Bürgerverein. Angaben zur Geschichte finden sich dort, eine Ankündigung zum nächsten Preisskat – und die Urkunde zum gewonnenen Vorentscheid im Dörferwettstreit. Man ist schon ein bisschen stolz darauf, zu den 19 besten niedersächsischen Dörfern zu zählen.
Zuerst hatte Sandhatten den gemeindeinternen, dann den landkreisweiten Wettbewerb gewonnen, schließlich ist das Dorf in die engere Auswahl für den Landespreis gerückt. „Ein unheimlicher Erfolg“, sagt die Bürgermeisterin der Gemeinde Hatten, Elke Szepanski, die selbst in Sandhatten lebt.
Mehr Klinker als Fachwerk gibt es hier, und auch ein bisschen Tourismus – Radwanderer oder Kanuten, die es in den Naturpark Wildeshauser Geest zieht. Sandhatten hat ein eigenes Seniorenheim und eine Jugendherberge. Allerdings keine Einkaufsmöglichkeit im Ort, keine Schule und keinen Arzt – dafür muss man ein, zwei Orte weiter, und die Wege sind lang in dieser Gegend.
Dennoch hat das Dorf nicht mit Leerstand und Landflucht zu kämpfen. Schließlich lebe man im „Speckgürtel von Oldenburg“, sagt Szepanski. Und Hennes erklärt, dass die Dorfgemeinschaft nach Lösungen sucht, wenn etwa ein Hof aufgegeben wird – zuletzt habe man dafür gesorgt, dass sich auf einem Resthof ein Fuhrunternehmen ansiedelt; ein ehemaliger Schweinestall dient als Mehrzweckhalle.
Neben der Dorfkneipe steht ein heruntergekommener Anbau, an der Seite prangen Graffiti, die an diesem Ort auffallend deplatziert wirken. Könnte bei der Ortsbesichtigung Abzüge in der B-Note geben. „Die alte Kegelbahn“, sagt Hennes: „Hätte man auch abreißen können.“ Wollten die Dörfler aber nicht: „Vielleicht kann man ja noch was draus machen.“ Sandhatten blickt in die Zukunft.
Und wenn das Dorf tatsächlich weiterkommt, vielleicht gar den Bundesentscheid gewinnt? Wäre schön, meint Hennes – aber gewonnen habe das Dorf eigentlich schon jetzt. „Die bisherigen Arbeiten haben uns zusammengeschweißt“, sagt er – „was wir erreicht haben, kann uns ja keiner mehr nehmen.“ Und wenn der Ort mehr Touristen anzöge? Nun ja, meint der Sandhattener, warum nicht. „Es müssen aber auch keine Busladungen sein.“
MAIK NOLTE