: In den Dunkelkammern
Die Staatsoper zeigt „Hippolyte et Aricie“ von Jean-Philippe Rameau, die Komische Oper „Candide“ von Leonard Bernstein

Von Niklaus Hablützel
Matthias Schulz, der neue Intendant der Staatsoper, glaubt den Markt zu kennen, wenn er die Marke seines Hauses durchsetzen will. Das erklärt wohl die „Barocktage 2018“, die seit dem 23. November auf dem Programm der Staatsoper stehen. Sie dauern noch bis zum 2. Dezember und enthalten Konzerte von fast allen Spezialensembles, die in den Zirkeln der sogenannten Alten Musik einen Namen haben. Erster Höhepunkt war am Sonntag die Premiere von Jean-Philippe Rameaus lyrischer Tragödie „Hippolyte et Aricie“, gespielt in der Fassung von 1757.
Es kam, wie es kommen muss, wenn es nicht um die Herausforderungen von Form und Inhalt eines Werkes geht, sondern um Zielgruppen. Es war ein großer Abend des Designs. Schulz hat Ólafur Elíasson für Bühnenbild und Kostüme verpflichtet, und der inzwischen mit einer ganzen Werkstatt in Berlin etablierte Weltstar hat geliefert, wofür sein Name steht: Laser, Spiegel und Farbfilter, sie bilden eine Sequenz von Bildern in einem leeren, schwarzen Raum. Es sind Stimmungen für imaginäre Schauplätze und die als Regisseurin verpflichtete Choreografin Aletta Collins füllt sie mit ebenso perfekt dekorativen Tanzszenen, die wie Schattenrisse Elemente des Dramas illustrieren. Die Personen jedoch, die es spielen sollen, verschwinden in der Übermacht des optischen Reizes.
Immerhin singen sie, aber das Marketing übernahm auch die Musik. Am Pult stand noch ein großer Name: Sir Simon Rattle, soeben mit Wehmut als Chef der Philharmoniker verabschiedet, kam zurück. So war es in jeder Saison der letzten Jahre zum schönen Brauch geworden. Weil nun aber Barenboims Staatskapelle gerade durch China und Australien tourt, setzte man für Rattle das Freiburger Barockorchester in den Graben.
Er selbst hatte seine Ehefrau Magdalena Kozena mitgebracht, und auch sonst ließ sich die Staatsoper mit Anna Prohaska, Elsa Dreisig, Reinoud van Mechelen, Gyula Orendt und Roman Trekel nicht lumpen. Aber es nützte nichts, weil das Freiburger Barockorchester niemals verstehen wird, was ein universaler Musiker wie Simon Rattle spielen möchte. Das Freiburger Barockorchester ist eine Marke, die garantiert immer gleich klingt, völlig egal, welches Stück gerade gespielt wird. Sägend scharfe Geigen, fett angeschwollene Akzente, knallhart stampfende Rhythmen. Rattle dagegen liebt Rameau und möchte den unglaublichen, melodischen und harmonischen Reichtum dieser Musik entfalten in mutmaßlich Tausenden von Nuancen des Tempos und Klangs im symbiotischen Zusammenspiel mit den Singstimmen. Er zwang deshalb das Orchester, die verkaufsfördernden Routinen abzulegen, und landete im blanken Chaos. Schief und verschwommen kamen noch die einfachsten Passagen daher und auf der Bühne mühten sich alle redlich, irgendwo in dem Durcheinander Halt zu finden. Rameau war nicht zu hören, doch der Schlussapplaus lässt befürchten, dass die Barocktage als Erfolg verbucht werden. Schulz sei gewarnt.
Am Samstag davor war die Bühne auch in der Komischen Oper meistens schwarz – aber nur, weil Barrie Koskys unbändige Theaterfantasie keine Kulissen braucht.
Kosky entwickelt Figuren, indem er sie beim Wort nimmt. Selbst Karikaturen und Stereotype des Theaters werden bei ihm so vielschichtig, kompliziert und widersprüchlich, dass man Anteil nimmt und zu verstehen beginnt. Mitten im größten Bühnentumult mit Chor und Tanz werden dann sehr ernste, menschliche Fragen laut, die haften bleiben über den Tag hinaus. So ist es nun auch mit „Candide“, Leonard Bernsteins aberwitzigem Versuch von 1953, Europas Geist samt Aufklärung und Operette an den Broadway zu bringen.
Das Stück ist ein Höllenritt durch die Gräuel der Welt nach Voltaires Novelle gegen die Theodizee von Leibniz, verpackt in eine Sammlung musikalischer Anspielungen an Madrigale, Bachchoräle, Mahler, Strauß und Lehar. In Koskys Version wird daraus eine große Oper, die philosophische Pointen mit hinreißenden Songs verknüpft, zusammengehalten von einem Erzähler in Zopfperücke, der den eklatanten Mangel an Handlungslogik ausgleichen muss. Es macht unglaublich Spaß, weil man mit Herz und Kopf zugleich lachen kann. Allan Clayton in Lederhose und Bauernhemd singt und spielt einen Schlaumeier von Schwejk’scher Größe, in dessen Gesicht schon der ständig wiederholte Glaubenssatz von der besten aller möglichen Welten in seine Bestandteile des Unsinns zerfällt. Purer Voltaire ist das und purer Bernstein zudem, denn Jordan de Souza, der erste Kapellmeister des Hauses, spielt mit seinem Orchester alles strahlend heraus, was dieser Alleskönner an musikalischen Perlen hineingestopft hat.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen