: „Zuallererst müssen wir Haltung zeigen“
DÄNEN-TV Ein Gespräch mit „Protectors“-Produzent Sven Clausen über Realität, Fiktion und Freiheit. Und warum Marktanteile über 50 Prozent und Qualität kein Widerspruch sind
ist seit 1984 bei Danmarks Radio, Dänemarks öffentlich-rechtlichem Rundfunk. Seit 1987 arbeitet er als Produzent für anspruchsvolle und preisgekrönte Serien wie „Rejseholdet/Unit One“ und „Ørnen/Der Adler: Die Spur des Verbrechens“.
INTERVIEW STEFFEN GRIMBERG
taz: Herr Clausen, „Protectors“ beginnt mit dem Hinweis: „Vor 10 Jahren gab es 30 Personenschützer in Dänemark – heute sind es dreimal so viele.“ Das hört sich nicht spektakulär an.
Sven Clausen: Für Sie vielleicht nicht. Aber „Protectors“ spielt nun mal in Dänemark, da stehen wir zu. Und dass sich diese Zahl verdreifacht hat, zeigt ja auch, dass sich die Zeiten bei uns geändert haben.
Man sieht’s: In der ersten Folge geht es um den umstrittenen Einsatz von dänischen Soldaten im Irak und Afghanistan, in der zweiten um die Integration von Muslimen und rechtsextreme Aktionen, die diese Entwicklung unterminieren wollen. Ist „Protectors“ ein verkapptes Politmagazin?
Mein Ziel ist ein gesellschaftspolitischer Ansatz, den man sich so wahrscheinlich nur im öffentlich-rechtliche Fernsehen leisten kann. Und da geht es um Integration und die Frage, warum um aller Welt Dänemark nach Jahrzehnten des Friedens plötzlich wieder in den Krieg zieht. Diese Themen liegen ja auf der Straße, die müssen wir aufgreifen.
Und wie haben die Zuschauer reagiert?
Wir haben Marktanteile von über 50 Prozent – fantastisch! Doch die Serie hat auch Debatten ausgelöst, vor allem bei den Konservativen. Die fragen uns jetzt, ob wir ihnen das Recht nehmen wollen, für das einzutreten, was sie für „dänische Leitkultur“ halten. Dabei wollen wir das nur zur Diskussion stellen – entscheiden muss jeder Zuschauer für sich. Aber eine Debatte haben wir ausgelöst – und dafür ist schließlich der öffentlich-rechtliche Rundfunk da.
Das findet bestimmt auch die reale Politik: In der ersten Folge kommt der Außenminister alles andere als gut weg, in der zweiten sind es die konservativen Parteien. Und im Abspann findet sich der ominöse Satz, die Serie sei fiktional, aber von realen Ereignissen inspiriert …
Dass wir angeblich ohne Berechtigung schmutzige Wäsche waschen, war gleich Thema bei mehreren Parteien. Wir sollten unsere Vorwürfe beweisen, lautete die Forderung. Auf diese Diskussion haben wir uns erst gar nicht eingelassen – ich nenne meine Quellen nicht. Die Politiker und die anderen Medien können schließlich selbst recherchieren, etwas anderes haben wir auch nicht getan. Übrigens wurde, exakt zwölf Monate nachdem wir die Folge mit den heimlichen Schießübungen bei den Rechten gedreht hatten, ein riesiges Waffenlager der Rechtsextremen ausgehoben.
Also doch Politmagazin?
Unsere Drehbuchschreiber lassen sich von dem inspirieren, was wirklich passiert, und recherchieren sorgfältig. Aber „Protectors“ ist Fiktion, und wir nutzen die dramaturgischen Freiheiten, die uns das eröffnet. Heute bin ich mir allerdings nicht mehr so sicher, ob der Satz im Abspann eine gute oder schlechte Idee war. Aber nun steht er halt da.
Ist die Kopenhagener Polizeichefin Fiktion oder Realität?
Dänemark bekommt bald vielleicht zum ersten Mal eine Premierministerin – da seid ihr in Deutschland uns voraus. Aber die Polizeichefin von Kopenhagen, die ein bisschen Pate für unsere Polizeichefin Benedikte „Tønne“ Tønnesen in „Protectors“ gestanden hat, gibt es schon. Sie ist gerade letzten Monat in Ruhestand gegangen. Das erkennen aber vielleicht nur Insider: Die „echte“ war eine begeisterte Seglerin – deshalb hängen auch bei Tønne im Büro lauter Bilder von Schiffen und anderes maritime Zeug. So als kleiner, respektvoller Gruß ans Vorbild.
Auch die Hauptfigur ist eine Frau: Jasmina, die Einzige in der Ausbildung zur Personenschützerin, dazu noch Tochter eines ägyptischen Einwanderers. Ist das nicht ein bisschen viel Klischee?
Es gibt derzeit wirklich nur eine weibliche Personenschützerin in Dänemark. Aber vermutlich werden es mehr. Denn schon nach „Der Adler“ und jetzt auch wegen „Protectors“ bewerben sich mehr und mehr junge Leute bei der Polizei – gerade auch solche aus Einwandererfamilien. Außerdem hat sich das Niveau gesteigert, sagen unsere Kontakte bei der Polizei – es kommen plötzlich immer mehr mit Abitur.
Ihr spielt also nebenbei Rekrutierungsbüro für die Polizei?
Die Polizei ist jedenfalls sehr zufrieden mit uns. Was für ein Dilemma! Wir sind ein öffentlich-rechtlicher Sender, es ist unsere Aufgabe, besonders kritisch über die Polizei zu berichten.
Man könnte fast den Eindruck bekommen, die dänischen Krimis wären den deutschen haushoch überlegen.
Sagen wir mal so: Das ZDF hat einen guten Riecher gehabt, und nun haben skandinavische Filme da ihren festen Slot.
Was genau macht „Protectors“ so viel politischer und realer als das Gros des deutschen TV-Programms?
Der Grund ist – zumindest teilweise – unser gesellschaftspolitischer Ansatz. Die Serie zeigt die notwendigen Schritte, die gegangen werden müssen, um die Demokratie zu schützen und Gewalt und Verbrechen zu bekämpfen. Und wir erzählen das dokumentarisch, also besonders nah am Zeitgeschehen. Natürlich muss „Protectors“ unterhalten, wir brauchen Humor, wir brauchen auch Quote – aber zuallererst müssen wir Haltung zeigen.