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Mit naivem Ernst

In Bremerhaven inszeniert Alexander Schilling den Klassiker „Tod eines Handlungsreisenden“ als ebenso klassisches Stadttheater. Hoch seriös zwar, und gut gespielt, aber doch in sicherer Deckung vor frischem Wind

Von Jens Fischer

Popselig tönt es aus den Lautsprechern: „Der Kapitalismus, der alte Schlawiner, / is uns lang genug auf der Tasche gelegen“, singt Peter Licht, „jetzt isser endlich vorbei.“ Als Märtyrer dieser Entwicklung legt sich derweil Willy Loman in ein Krankenhausbett. Wie zum Exi­tus verschwindet er unter der Decke, die seine Gattin mit einer liebevollen Geste noch einmal lüftet. Denn der suizidale „Tod eines Handlungsreisenden“ wird in Arthur Millers Drama erst zum Finale gelingen – als letzter Triumph einer trostlosen Erkenntnis. Tot ist Willy mehr wert als lebend, denn nun fällt er nicht mehr seiner ungesund verklärten Familie zur Last, sondern vermacht ihr als Trostpreis des Daseins die Lebensversicherung.

So endet die Zwangsneurose des amerikanischen Traums: Jeder, der will und hart arbeitet, könne beruflich Erfolg haben, reich werden und beliebt sein – der Mythos erwies sich als hohles Versprechen. Weswegen Leere auch von Anfang an allgegenwärtig ist auf der Bühne des Stadttheaters Bremerhaven.

Wenige Möbel bieten niemandem Halt im riesigen Bühnenraum. Rettungslos verloren wirken die Figuren. Waschmaschine und Sofa sind noch eingeschweißt, nämlich nur auf Stippvisite, weil die Ratenzahlungen nicht bedient werden können. Willys Tunichtgutsöhnen stehen auch keine Superkarrieren in Aussicht, mit denen der Vater seine eigene Erfolglosigkeit kompensieren könnte. Das Familienoberhaupt flüchtet immer mal wieder beschämt hinter den gigantischen Prospekt eines Hochregallagers – eine Gebirge von Waren, die irgendwelchen Konsumenten angedreht werden sollen. Das war Willys Lebenselixier: verkaufen. Nun ist er zu alt, zu wenig effizient und wurde aussortiert. Erniedrigt durch die Gesetze des Marktes. Ein zeitloses Beispiel kapitalistischer Realität. Ein aktuelles Beispiel zum Thema Renten und Altersarmut. Den Klassiker in Bremerhaven zu inszenieren, liegt auch sozialstatistisch auf der Hand. Die offizielle Arbeitslosenquote ist an der Wesermündung zwar von 15 auf 12 Prozent gesenkt worden, aber immer noch doppelt so hoch wie der Bundesdurchschnitt. Was die Überschuldung der Bürger und das Risiko angeht, in Armut leben zu müssen, ziert die Seestadt die letzten Plätze der nationalen Vergleichstabellen.

In einem nachdenklichen Aufführungstempo versuchen daher alle Darsteller, überbordend rührwillig für die Pro­bleme des ebenso betroffenen Stückpersonals einzustehen. Unwiderstehlich der Moment, wenn die unverbrüchlich ihre Familie coachende Mutter, erschüttert in echtem Zorn, den Respekt für den Verlierer-Vater einfordert. Der vorbildlich das männliche Ernährerklischee verkörpern wollte, beim Wahren des Scheins aber nun Stück für Stück zerbricht und sich im Licht eines immer wieder aus dem Bühnenhimmel herabschwebenden Scheinwerfers in Tagträume und Vergangenheitsverklärung flüchtet. Steht alles so im 70 Jahre alten Melodram. So inszeniert es Alexander Schilling auch. Klassisches Stadttheater also, hoch seriös.

Diesen Klassiker in Bremerhaven zu inszenieren, liegt sozialstatistisch auf der Hand

Zu Beginn der Intendanz Ulrich Mokruschs wurde mit Produktionen im Stadtraum, aufwendigen Festivals, Erstaufführungen und Regieeigenwilligkeiten auch überregionale Aufmerksamkeit generiert, jetzt hat sich der wachsende Zuschauerzuspruch des Stadttheaters stabilisiert und bedient vor allem die Gefühlslagen des Großraums Bremerhaven. Auch hievt das Theater die ewig gleichen Probleme in kleinbürgerlichen Ehekontexten immer und immer wieder auf die Bühne, in dieser Saison Ibsens „Nora“.

Vielfach werden Schauspielerfolge anderer Bühnen nachgespielt. Selten waren dabei in den letzten Jahren inhaltlich wie ästhetisch außergewöhnlich eigene Ansätze zu erleben. Dazu gesellen sich 2018/19 zwei Musicals, eine deutsche Filmkomödie, zwei Opern aus den Top 12 der am häufigsten in Deutschland inszenierten Werke und eine Operette. Nur mit einem Text von Alexandra Badea („Extremophil“), einem Marienspiel von Bohuslav Martinů und der Opern-Erstaufführung von William Bolcom scheint die Spielzeit aus der sicheren Deckung zu kommen.

Die Miller-Inszenierung wagt das nicht. Verharrt in ihrer Klassikerhaftigkeit, beeindruckt aber dank des guten Ensembles. Alle Figuren sind hypernervös angelegt, schwankend zwischen verdrängtem Selbst- und offensivem Fremdbetrug. Herausragend wie Kay Krause den Loman gibt: erschöpft und mürrisch, unsicher und herrisch. Verschämt liebevoll. Und immer wieder herausfordernd rechthaberisch. Schließlich jähzornig. Ein Wutbürger. Er ist genau an dem Punkt, wo Populisten ihre Gemeinden re­krutieren. Das große Mitfühltheater bestätigt das. Da wirkt der Ernst des Abends naiv. Weckt die Sehnsucht nach einer frischen Brise fürs Stadttheater.

Wieder am 28. 11. und 15. 12. um 19.30 Uhr, Stadttheater Bremerhaven

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