: Die Kunst, das Leben zu leben
Das diesjährige Afrikamera Festival verhandelt in vielen Beiträgen die Bedingungen des menschlichen Daseins. Mit Fokus auf das Horn von Afrika
Von Katrin Doerksen
Der Protagonist aus „Sheikh Jackson“ trägt einen Ring mit zwei Knöpfen und einem winzigen Bildschirm an der linken Hand, mit dem er seine Sünden und gute Taten zählt, und es wurmt ihn, dass die Zahl der Sünden unaufhörlich wächst. Denn plötzlich ist er sich nicht mehr so sicher, wer das überhaupt entscheidet: Was gut und was böse ist. Sheikh Khaled Hani (Ahmad El-Fishawi) lebt ein geregeltes Leben als religiöses Vorbild, als Ehemann und Vater, bis er eines Tages vom Tod Michael Jacksons erfährt, den er als Teenager vergötterte.
Der ägyptische Regisseur Amr Salama erzählt in seinem Film „Sheikh Jackson“ von der Glaubenskrise eines Mannes und parallel von dessen Kindheit und Jugend, erinnert ihn an die schon fast vergessene Phase, als er mit 14 Jahren, das Booklet in der Hand, vor dem Spiegel posierte, um die Songtexte des neuen Albums auswendig zu lernen. Lässt ihn durch Albtraumwelten wandeln, die Jacksons populärsten Musikvideos ähneln.
Es gibt viele solcher Filme auf dem diesjährigen Afrikamera Festival, in denen Individuen versuchen ihre Leben zu leben und dabei mit übergeordneten Mächten aneinandergeraten, mit denen es die Bedingungen ihres Daseins neu auszuhandeln gilt. Sehr deutlich wird das etwa in der Hommage an den im vergangenen Februar verstorbenen burkinischen Regisseur Idrissa Ouédraogo. In den vier Kurzfilmen, die das Festival ihm zu Ehren zeigt, sind die Figuren oft gezwungen, der Armut zu entfliehen und der Filmemacher, ein aufmerksamer Beobachter gesellschaftlicher Dynamiken, interessiert sich weniger für das, was sie auf ihrer Suche vorfinden als vielmehr für die Kulturtechniken, die Handwerkskünste, Traditionen und Erinnerungen, die sie zurücklassen.
Der offensichtlichste Schwerpunkt der aktuellen Afrikamera-Ausgabe sind aber Filme vom sogenannten Horn von Afrika. Der östliche Landzipfel des Kontinents schafft es meist nur im Kontext bewaffneter Konflikte und Piraterie in die Medien. Die Dokumentar-, Spiel- und Kurzfilme aus Ländern wie Äthiopien und Dschibuti oder Nachbarstaaten wie Sudan und Kenia nehmen als Kontrapunkt dazu die alltägliche Lebensrealität der lokalen Bevölkerung in den Blick.
In Bazi Getes Debüt „Red Leaves“ zum Beispiel verkauft ein äthiopischer Einwanderer (Debebe Eshetu) in Israel nach dem Tod seiner Frau das gemeinsame Apartment, um reihum bei den erwachsenen Kindern zu leben. Doch die entpuppen sich allesamt als Enttäuschung: Seine Tochter hat den falschen Liebhaber, die Frau seines ersten Sohnes tratscht über ihn und der zweite Sohn versucht sein zerrüttetes Eheleben vor den Nachbarn zu verbergen. Die großen Lebensdramen spielen sich bei diesen Familien ab, doch stur klebt die Kamera an dem alten Mann, folgt ihm in Großaufnahmen und elaborierten tracking shots desillusioniert durch eine Welt wandelnd, die partout nicht mehr nach seinen Regeln funktionieren will.
Wie die Werte zweier scheinbar konträrer Sphären aufeinanderprallen zeigt auch Laurence Gavron in ihrem Dokumentarfilm „Black Jews, the roots of the olive tree“. Mit einfachsten Mitteln porträtiert die Regisseurin eine kleine jüdische Gemeinde in Kamerun, deren Mitgliedern es vorerst verwehrt bleibt offiziell zu konvertieren. Doch geht es ihnen ohnehin in erster Linie darum, ihren Glauben in dem vom Katholizismus dominierten Land zu praktizieren und eigene Traditionen zu entwickeln. Religion als Grassroots-Initiative.
Sollte jedoch nur Zeit für einen Film aus dem Programm bleiben, dann sei „Supa Modo“ des Kenianers Likarion Wainaina empfohlen, der auf der Berlinale 2018 eine lobende Erwähnung in der Sektion Generation KPlus erhielt. Die kleine Jo (Stycie Waweru) möchte am liebsten eine Superheldin sein wie in den Filmen. Aber sie ist unheilbar krank, und so rauft sich ein ganzes Dorf zusammen, um ihr den Wunsch zu erfüllen. Liebevoll handgemachte Effekt beschwören nicht nur den Charme des Jack-Black-Film „Abgedreht“ herauf. Wenn Jo beim Spielen mit wild flatterndem Umhang durch den Garten prescht, scheint die ihr folgende Kamera ihre Superkräfte tatsächlich zu aktivieren und sie einen Meter über den Boden zu heben. Eine Liebeserklärung nicht nur an das Kino, sondern überhaupt an jene Geschichten, die größer sind als wir selbst.
Afrikamera 2018 – Horn von Afrika: Kino Arsenal, 13.–18. November
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