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Archiv-Artikel

Spontis brauchen länger

WEIN-DEBATTE Die Spontanvergärung von Wein mit natürlich vorkommenden Hefen treibt das Prinzip des Terroirs auf die Spitze. Die Ergebnisse sind interessant. Die Winzer tragen bei dem Verfahren aber ein großes Risiko

Die Erzeuger

■ Weingüter mit zum Teil konventionellem Anbau, die aber, wenigstens bei einem Teil der Weine, mit Spontangärung arbeiten:

■ Mittelrhein: Weingut Karl Heidrich, Weingut Königshof, Weingut Lanius-Knab, Weingut Matthias Müller, Weingut Scherer, Weingut Sebastian Schneider

■ Württemberg: Weingüter Beurer (Stetten), Rux (Stuttgart), Schmalzried (Korb), Schnaitmann (Fellbach)

■ Mosel, Saar, Ruwer: Weingut Clemens Busch (Pünderich), Weingut Ansgar Clüsserath (Trittenheim), Weingut Schloss Lieser (Lieser), Weingut Lubentiushof (Niederfell), Weingut Egon Müller-Scharzhof (Wiltingen), Weingut Willi Schaefer (Graach), Weingut Van Volxem (Wiltingen)

■ Pfalz: Weingut Dr. Bürklin-Wolf (Wachenheim), Weingut Hirschhorner Hof (Neustadt)

■ Franken: Weingut Roth  ROR

VON ROGER REPPLINGER

Andreas Schumann ist gut drauf. Das Wetter in der Mittelhaardt ist besser als in Hamburg, außerdem läuft auf Weingut Odinstal die Lese. Und das macht Betriebsleiter Schumann, 34, verheiratet, vier Kinder, Spaß. „Über was wollten wir reden?“, fragt er. „Ach ja, Sponti!“ Und dann ist es, als ob man eine Sektflasche öffnet.

Um aus Traubenmost Wein zu machen, muss der Zucker der Beeren zu Alkohol werden. Das machen Hefen. Es gibt Winzer, die mit Reinzuchthefen arbeiten: Ein Hefestamm, der für ein Einsatzgebiet gezüchtet und optimiert wurde, wird ausgewählt, die Gärung nicht dem Zufall überlassen. Dann schmeckt ein Riesling, wie er schmecken muss. Und es gibt Winzer, die mit Spontanvergärung – „Sponti“ – arbeiten: mit einem Gemisch natürlich vorkommender Hefearten. Welche Hefeart sich durchsetzt und den Most vergärt, ist ungewiss. Der Wein verdirbt, wenn es die falschen sind.

Die „Sponti“ ist im Kommen, auch bei konventionell arbeitenden Winzern, und es gibt eine Grundsatzdebatte, was besser ist.

Schumann hat sein Praxissemester beim Ökobetrieb Wittmann in Westhofen (Rheinhessen) gemacht. Er verzichtet auf chemisch-synthetische Pestizide und leicht lösliche Mineraldünger. Er verwendet biologisch-dynamische Feldspritz- und Kompostpräparate, Pflanzentees, berücksichtigt die Mondphasen, schätzt Artenvielfalt in Flora und Fauna. Ein Teil seines Konzepts ist die „Sponti“.

„In der Regel klappt es, dass die Hefen, die auf der Haut der Beeren sitzen, den Gärprozess in Gang bringen“, sagt Schumann. Dann braucht er Geduld. Wenn es im Keller kalt wird, haben die Hefen keine Lust und die Gärung stoppt. Erst mal. „Bis zum Frühjahr“, sagt Schumann. Dann setzt sie – hoffentlich – wieder ein. „Da braucht man gute Nerven und darf keine Angst vor langen Gärungen und langen Gärpausen haben“, sagt Schumann. Den letzten 2011er hat er am 4. September 2012 filtriert. Weißweine, die so lange gären, sind rar. „Kontrolliertes Nichtstun“, nennt Schumann seine Arbeit.

Schumann guckt nicht auf Zahlen. Wenn natürliche Hefen einen Most bis in einen Bereich kurz über dem, was das Weingesetz „trocken“ nennt, vergoren haben und steigen aus und der Wein ist harmonisch, „dann ist es eben so“. Und bleibt so. „Die vielen verschiedenen Hefestämme, die im ersten Drittel der „Sponti“ aktiv sind, sorgen für verschiedene Aromen“, sagt Schumann. Die danach arbeiten auch. Deshalb schmecken spontan vergorene Weine anders als herkömmliche: wilder, überraschender, fremder. Reinzuchthefen geben dem Wein ein klares Aroma: Himbeer, Pfirsich, mineralisch. „Diese Aromen sind nach ein paar Monaten weg“, sagt Schumann. Natürliche Hefen drücken dem Wein kein Aroma auf. Dazu sind sie zu viele.

Die natürlichen Hefen, die mit der Gärung beginnen, machen, wenn sie eine bestimmte Menge Zucker in Alkohol verwandelt haben, schlapp. Wenn andere natürliche Hefen nicht weiter machen, wird’s am Ende kein Wein. „Das ist das Risiko“, sagt Schumann. Nun müssen die Wein-Hefen der Kellerflora weitermachen. Die sitzen an der Wand, in der Presse, den Schläuchen, sind in der Luft. „Wenn ich die kenne, und weiß, wie sie arbeiten, ist alles gut“, sagt Schumann, der seine Hefen duzt.

Für Hendrik Thoma, einst Chef-Sommelier im Hamburger Hotel Louis C. Jacob, heute Video-Wein-Blogger, „bilden die eigenen Hefestämme den Herkunftsgedanken am besten ab und sind Teil der Lehre des Terroirs“. Thoma sieht hier „kleine, traditionelle Betriebe“ im Vorteil, „die ihr Lesegut zu hundert Prozent im Griff haben“.

Bei Schumann kommen „kein Schimmel, keine Fäulnis, nur reife, gesunde Beeren, von Hand selektiert“, in den Keller. Er nimmt täglich zwei Fassproben. Bei fünf Hektar Reben geht das.

Bei Rotweinen sind „Spontis“ leicht, da sie auf der Maische vergoren werden, bei Weißweinen ein bisschen schwerer. Bei Riesling – niedriger ph-Wert, viel Säure – nicht so schwer wie bei Gewürztraminer und Auxerrois. Natürlich lässt Schumann, der nur Weißwein macht, auch Gewürztraminer und Auxerrois spontan vergären. „Da schlagen manche die Hände überm Kopf zusammen“, sagt er. Vor Schreck. Andere klatschen.