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Die letzten Bilder

Für den Dokumentarfilm „An den Rändern der Welt“ begleitete der Hamburger Filmemacher Thomas Tielsch den Fotografen Markus Mauthe auf eine Reise zu bedrohten indigenen Gemeinschaften

Von Wilfried Hippen

Der Film beginnt mit Bildern, die zeitlos zu sein scheinen. Die Mundrai sind Hirten, die im Südsudan zusammen mit ihren großhornigen Rindern leben. Seit Jahrhunderten scheint sich kaum etwas an ihrer Kultur geändert zu haben. Sie reiben sich und ihre Tiere mit Asche ein, um die Stechmücken fernzuhalten und so kann der Fotograf Markus Mauthe betörend schöne Bilder dieser Menschen machen, die in einer symbiotischen Eintracht mit ihren Tieren und der Natur existieren.

Es scheint in dieser Welt nur Braun-, Schwarz- und Grautöne zu geben. Und wenn etwas später einer dieser archaisch aussehenden Menschen aus einem alten Plastikbecher trinkt, wirkt dies wie ein Sündenfall. Jahrzehnte wurde ihr Land durch einen Bürgerkrieg verwüstet, aber sie hatten das Glück, in einer so kargen Region zu leben, dass es sich nicht lohnt, sie zu überfallen.

Danach besucht Mauthe die Hamar in Äthiopien. Er kann dort die Rituale einer Hochzeit fotografieren: Wie die Frauen sich frisieren und tanzen und wie der Bräutigam über vier Rinder springen muss. Schon jene, die sie als erstes aufspürten, machten solche Bilder exotischer und von der Moderne unberührter Naturmenschen.

Ein postkolonialistischer Unterton schwingt da immer noch mit, und wenn der Film nur ein paar Minuten länger solche hochästhetischen Bilder von schönen Afrikanern gezeigt hätte, wäre er ein Ärgernis geworden. Doch nicht umsonst hat der Filmemacher Thomas Tielsch diese Sequenzen an den Anfang seines Films gesetzt: So ungebrochen wird später nie mehr die vermeintlich heile Welt einer indigenen Gemeinschaft zelebriert.

Denn diese Kulturen wird es nicht mehr lange geben. Mauthe selber sagt, ihnen „bleiben höchstens noch zehn Jahre“, denn „Globalisierung und Klimawandel sind dabei, die Lebensgrundlage dieser Gemeinschaften zu zerstören“. Und von diesem Prozess erzählen die weiteren Kapitel des Films.

Dieser ist Teil eines viel größeren Multimedia-Projektes des Fotografen Markus Mauthe. Im Laufe von drei Jahren hat er 13 Reisen gemacht und dabei 22 indigene Volksgruppen gesucht. Das Ergebnis sind ein Bildband, eine Ausstellung, die in der Open Art im Überseequartier in Hamburg zu sehen ist, und eine Live-Fotoshow, mit der Mauthe von der nächsten Woche an auf Tournee durch ganz Deutschland gehen wird.

Für den Film „An den Rändern der Welt“ begleitete der Hamburger Filmemacher Thomas Tielsch den Fotografen bei einer seiner Reisen. Solch ein Projekt ist für einen Filmregisseur schon deshalb schwierig, weil seine Bildsprache sich grundsätzlich nicht von der des Fotografen unterscheiden sollte. Natürlich gelingt es Mauthe besser, genau den passenden Moment für seine Aufnahmen zu finden – bei den komplizierten Aufnahmen des Filmteams geht die Spontanität eines Augenblicks fast immer verloren. Dafür kann Tielsch mit den großen Totalen seiner Luftaufnahmen einer Drone aufwarten, und dieses Stilmittel setzt er gerne und oft ein.

In Indonesien suchen Mauthe und Tielsch Seenomaden, die auf Inseln am südöstlichen Ende Borneos lebten, aber deren Kultur ist schon so gut wie zerstört. Früher lebten die Bajau nur im Wasser und schliefen in ihren Booten. Sie zogen mit den Fischzügen an der Küste Borneos entlang. Der Staat hat sie dann gezwungen, sesshaft zu werden und in einem Reservat in einem Nationalpark angesiedelt.

Die meisten leben nun in Stelzenhäusern im flachen Wasser zwischen den Inseln. Gerade einmal sieben Boote hat Mauthe nach langer Suche noch gefunden. In ihnen fangen die Bajau inzwischen längst nicht mehr so viele Fische aus dem Wasser wie in früheren Zeiten. Mindestens einer von ihnen fischt illegal mit Dynamit und macht sich und den anderen seine Fanggründe damit kaputt, weil er sowohl die jungen Fische als auch die Korallen zerstört.

Viele Bajau arbeiten nun für Touristen, denn da sie gelernt haben lange und tief tauchen zu können, sind sie gute und gefragte Tauchlehrer. Bald wird sich das Fischen gar nicht mehr für sie lohnen. Mauthe hat wohl gerade noch die letzte Generation auch nur halbwegs nach ihren Traditionen lebender Bajau gefunden.

Viele Bajau arbeiten nun als Tauchlehrer für Touristen, denn sie beherrschen die Kunst, lange und tief unter Wasser zu schwimmen

Ein Fotograf wie Mauthe muss immer mit dem Widerspruch leben, dass auch er, alleine dadurch, dass er fotografiert und seine Bilder dann veröffentlicht, Teil des Systems ist, das diese indigenen Kulturen zerstört.

In diesem Sinne ist es ein Erfolg, wenn er im Regenwald des brasilianischen Amazonas einen indigenen Stamm eben nicht findet, dem es bis heute gelungen ist, ohne Kontakt zur modernen Zivilisation zu leben: Nur ein paar umgeknickte Zweige belegen seine Existenz, und Mauthe scheint fast froh zu sein, dass er mehr von ihnen nicht zeigen kann. Ein anderer Stamm, den er vor Jahren besuchte, und von dem er damals gastfreundlich aufgenommen wurde, verweigert ihm heute an einer Straßensperre den Eintritt und verlangt Geld dafür, dass er noch einmal Fotos von ihnen machen darf.

Greenpeace-Aktivist Mauthe sieht sich als ihren Fürsprecher und ist sichtlich enttäuscht und verletzt, aber diese Sequenz macht auch die Ambivalenz seiner eigenen Rolle deutlich. In Brasilien werden auch riesige, durch Brandrodung zerstörte Landschaften gezeigt, und dann die von dort vertriebenen Guajajara mit ihren aussichtlosen Versuchen, die großen Waldbrände mit kleinen Wasserspritzen zu löschen.

Den Munduruku gelang es dagegen, den Bau eines Megastaudamms zu verhindern, der ihr Stammesgebiet am Amazonas überflutet hätte. Im Film sorgt dieser Sieg für eine hoffnungsvolle Endnote, doch inzwischen plant der neue Präsident Brasiliens Jair Bolsonaro, das Umweltministerium ins Agrarministerium einzugliedern und alle Schutzgebiete im Regenwald für die landwirtschaftliche Erschließung freizugeben. Dieser Film zeigt auch, was dadurch zerstört werden wird.

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